Und ich schick direkt noch ein zweites Artefakt aus der Shorpy-Sammlung hinterher. Warum auch nicht? Von der Außen- jetzt zur Innenansicht. Wir blicken in eine New Yorker Mietwohnung im Jahr 1905. Hier der Link zum Original-Shorpy-Bild:
http://www.shorpy.com/node/7084?size=_originalLeider ist nicht viel über die Hintergründe des Fotos bekannt, ob es sich um im Vergleich wohlhabende oder eher arme Bewohner handelt. Es fällt aber auf, dass sich die Wohnung in einem vergleichsweise guten und aufgeräumten Zustand befindet, so dass ich davon ausgehe, dass wir hier nicht eine der Wohnungen aus dem Elendsviertel vor uns haben. Für diese Annahme spricht auch, dass die Wohnung einen recht hellen und luftigen Eindruck macht, insbesondere der hintere Raum scheint von der Fensterseite her mit Sonnenlicht geflutet. Ergänzend einer der Kommentare zu dem Bild:
"The photo doesn't let us know where in NYC it is. 1910 tenements usually conjure an image of the Lower East Side, a neighborhood of immigrants. In this picture, which could be in Midtown, Yorkville or the Upper West Side or even Harlem, we have reasonable living quarters for 1910. The newspaper on the table appears to be in English. One picture on the wall show a Military unit, possibly a Spanish-American or Civil War Unit that a resident or relative served in. A tenement building was and is a way of life in many American Cities. Many remain in the poorer neighborhoods today, however the very upscale Upper East Side of Manhattan has them on almost every block east of Madison Avenue. A few are run down, but most are well kept and the monthly rents, where they are not controlled, are in the multiple thousands. The vacancy rate is around 1%."
Was gibts noch zu entdecken? Die seltsam anmutenden Installationen an der Decke in beiden Räumen sind Vorrichtungen für Gaslicht. Richtig gelesen - Gaslicht in den Wohnungen. Wir sind im Jahr 1905.
Den Ofen unten am Boden finde ich ziemlich klein. Ok - für Kaffeewasser im Kessel heißmachen ist er groß genug. Aber ein Mittagsmahl mit mehr als zwei unterschiedlichen Bestandteilen - da bedarf es schon eines ausgeklügelten Materialmanagements und einer gut durchdachten Zeitstrategie.
Nachschlag:
Nachdem ich den Beitrag mit etwas Abstand noch einmal besichtigt habe, ist mir ein Detail aufgefallen, das ich bisher noch nicht erwähnt hatte. Dieser kleine Ofen scheint mir ein Gasherd zu sein. Es führt ein Rohr in der Zimmerecke von der Decke herunter, das vom Durchmesser her an jenes Rohr erinnert, welches der Gaslampe an der Decke den Brennstoff zuführt. Man beachte auch das Rohr, das in der Mitte hinter dem Ofen hervorkommt und das mit offenbar mit drei Ventilen an den Ofen angeschlossen ist. Ich bin kein Experte für Gasherde, aber mir scheint dieses Gerät für die damalige Zeit ziemlich modern gewesen zu sein. (Schaedel 03/06/2011)
Nachschlag:
Nachdem ich den Beitrag mit etwas Abstand noch einmal besichtigt habe, ist mir ein Detail aufgefallen, das ich bisher noch nicht erwähnt hatte. Dieser kleine Ofen scheint mir ein Gasherd zu sein. Es führt ein Rohr in der Zimmerecke von der Decke herunter, das vom Durchmesser her an jenes Rohr erinnert, welches der Gaslampe an der Decke den Brennstoff zuführt. Man beachte auch das Rohr, das in der Mitte hinter dem Ofen hervorkommt und das mit offenbar mit drei Ventilen an den Ofen angeschlossen ist. Ich bin kein Experte für Gasherde, aber mir scheint dieses Gerät für die damalige Zeit ziemlich modern gewesen zu sein. (Schaedel 03/06/2011)
Mein Favorit auf diesem Foto ist die kleine Geisterkatze, die da am Fuß des Ofens herumspukt.
Im Halbdunkel hinter dem Ofen munkelt ein Bügeleisen, oder wie man in New York sagen würde, Flatiron, vor sich hin, sicherlich nicht ohne Grund. Damals wurden sie noch mit Hilfe des Ofens auf Betriebstemperatur gebracht.
Was ich allerdings nicht zuordnen kann, sind diese beiden Vorrichtungen in der näheren Umgebung des Ofens. Wie ein Gewürzbord sieht mir das erste nicht aus. Das Zweite hat Ähnlichkeit mit einem Clipboard. Vielleicht wurde hier eine frühe Form von Küchenpapier oder ein Handtuch festgemacht?
Schauen wir jetzt mal, was die Menschen vor 106 Jahren so an Bildern und Postern an die Wände gehängt haben. Da findet man Landschaftsaufnahmen mit Bauernhöfen oder mit Bergziegen, historische Bilder mit Soldaten oder auch Blumen, Mädchen und Kinder als Motive.
Jetzt werfen wir mal einen genaueren Blick auf das Bord in der Mitte des Bildes.
Dort sieht man eine Sammlung von Fotos und Gefäßen, das eigentliche Bord ist unter einer Art Tischdecke versteckt, untendran hängt links ein Reisigbesen und rechts eine kleine Handtasche oder Geldbörse. Jetzt zu den Fotos. Dieses Bild steht eigentlich nicht auf dem Bord, sondern hängt darüber an der Wand. Ein ziemlich großer Rahmen für ein verhältnismäßig kleines Foto. Gehen wir mal davon aus, das die Wohnung von einem Ehepaar bewohnt wird. Ob hier die Frau abgebildet ist?
Dann könnte das hier die Einheit sein, in der der Mann dient oder gedient hat. Oder die er (ge)führt (hat).
Rechts über dem vorausgegangenen Bild hängt ein Foto an der Wand, das mir wie ein Kinderfoto aussieht. Ob es sich um die Kinder des mutmaßlichen Ehepaars handelt oder ob es ein Kinderfoto von einem der Bewohner selbst ist, kann man nicht nachvollziehen.
Links auf dem Bord sieht man ein weiteres Kinderfoto.
Rechts auf dem Bord steht eine Art Postkarte, auf der ebenfalls Kinder abgebildet sind, allerdings sieht mir das nicht wie ein Foto, sondern wie eine Zeichnung aus.
Weitere Fotos hängen nebenan im Hintergrund am Spiegel:
Was findet man noch auf dem Bord? Zum Beispiel dieses Gefäß. Handelt es sich dabei um einen Mörser mit Stößel. Oder um einen Zuckerpott? Oder vielleicht ein Gefäß mit Ahornsirup und Löffel? Keine Ahnung.
Den Pott hier finde ich auch interessant. Wer ist denn da vorne drauf? Der Antichrist persönlich? Oder soll das vielleicht Onkel Sam sein? Oder vielleicht der Großvater, der in Old Europe geblieben ist? Keine Ahnung.
Und das hier. Was ist das? Ein Gerät zum Luftzufächeln? Eine altertümliche Fliegenpatsche? Etwas, das die Kinder im Kindergarten gebastelt haben? Keine Ahnung.
Zum Abschluss noch eine Bestandsaufnahme bei den Einrichtungsgegenständen. Den Ofen hatten wir ja schon. Was gibts noch? Einen Tisch mit Tischdecke und Zeitung drauf. Und etwas auf der Zeitung, zu dem mir nicht einfällt, was das sein könnte.
Ein interessant gearbeiteter hölzerner Stuhl:
Links unten die Ecke von etwas, das alles sein könnte. Eine weitere Sitzgelegenheit (z.B. eine Bank), eine Truhe, noch ein Tisch, ein Schränkchen. Keine Ahnung.
Ganz rechts im Bild das lange dunkle schmale könnte ein Schrank sein, auf dessen unterem Teil eine weitere Zeitung abgelegt ist. Interessant ist der Mittelteil des Bildausschnitts. Das sieht fast so aus, als ob dort an der Wand auch ein Heizkörper hängt, der aber offenbar nicht in Betrieb ist, weil da im Moment einige Teile drauf abgestellt sind, die da sicher nicht drauf dürfen, wenn der heiß ist.
Im Nachbarraum zentral unter dem Spiegel eine Kommode.
Links im Raum und nicht eindeutig zu identifizieren ein weiteres Möbelstück, das entweder mit einer karierten Decke dekoriert ist oder dessen Außenwände aus diesem karierten Material bestehen. Links neben der Kommode scheinen noch ein paar Bücher, Mappen oder Ordner auf dem Fußboden abgelegt zu sein.
Und abschließend noch ein Blick durch den hinteren Raum. Ganz links am Türrahmen hängen eine Schere und noch weitere Gegenstände, die ich nicht identifizieren kann. Rechts daneben sieht man einen Teil der Fensterbank mit einem nicht erkennbaren Gegenstand darauf. Was allerdings auffällt, ist, dass die Wohnung ziemlich hohe Fenster hat, das obere Ende des Fensterrahmens kann man auf diesem Foto nicht ausmachen. Oben im Türrahmen ein wenig Dekoration aus einem hölzernen Rahmen und einer Gardine, dahinter an der Wand ein weiteres rundes Bild mit einem nicht zu erkennenden Motiv. Rechts oben wieder eine Gaslicht-Installation. Neben dem großen Wandspiegel hängt noch ein kleiner Handspiegel an der Wand, darunter ein weiteres Foto, das vermutlich eine Person zeigt. Dieser Teil des Raums scheint einer Frau zu gehören. Im Wandspiegel wird ein seltsamer schultütenförmiger Gegenstand reflektiert, der sich vermutlich an der gegenüberliegenden Wand im hinteren Raum befindet, zu dem mir aber nichts einfällt, was das sein könnte. Auf der Kommode erkennt man auch einen Suppenteller, der allerdings mit Krimskrams gefüllt zu sein scheint.
Mehr zum Thema findet man hier (Tenement Museum New York):
http://www.tenement.org/
Über das Tenement Museum, in dem vergleichbare historische New Yorker Wohnungen besichtigt werden können, hat auch Mike bei NYC Total schon einmal berichtet:
http://www.nyctotal.de/insider/tenement-museum/
Hallo Schaedel,
AntwortenLöschenvielen Dank für den abermals interessanten und ausführlichen Artikel. Dazu passend möchte ich auf das Tenement Museum in NYC aufmerksam machen, in dem man solche Räume (wie hier gezeigt) einmal "live und in Farbe" einsehen kann. Halte ich für sehr interessant. Auf NYC Total gibt es da einen kleinen Bericht, inkl. dem Link zur Museumshomepage, auf der man geführte Touren durch das Museum buchen kann.
http://www.nyctotal.de/insider/tenement-museum/
Viele Grüße,
Mike
Danke Dir Mike - ich hatte das Tenenment Museum am Ende des Artikels verlinkt, vielleicht etwas zu unauffällig, befürchte ich. :-)
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