Kapitel 3
Und weil es so "schön" war, gleich noch ein Video.
Dabei handelt es sich um einen sechseinhalbminütigen Kurzfilm aus dem Jahr 1905 mit dem Titel "Interior N.Y. subway, 14th St. to 42nd St.", der von Herrn G.W. "Billy" Bitzer für die American Mutoscope and Biograph Company gedreht wurde.
Zu sehen ist eine Fahrt mit der New Yorker U-Bahn, die an der Station "Union Square" an der 14. Straße beginnt und an der Station "Grand Central Station" an der 42. Straße endet. KARTE
Die Aufnahmen fanden im Mai 1905 statt, also ein halbes Jahr nach der Eröffnung der New Yorker Subway im Oktober 1904.
(Start des Videos mit Doppelklick auf den Pfeil in der Mitte)
In seinem Aufsatz mit dem Titel "Autos, Züge und Städte: Modernisierung, das frühe Kino und die Avantgarde" schreibt Jan-Christopher Horak zu diesem Kurzfilm folgendes:
Aber nicht nur die Geschwindigkeit und ihre Mechanik, sondern auch die Perzeption des Raums im Film ist Thema des frühen Kinos, nicht zufällig in einem Film, der aus einer Bahn aufgenommen worden ist. Der Biographfilm, Interior New York Subway (1905), der eine Kurzstrecke der New York U-Bahn bis zur Haltestelle in der 14. Strasse porträtiert, kann auf mehreren Ebenen gelesen werden. Auf der ikonischen Ebene, zeigt die nach vorne gerichtete Kamera in einer Totalen die Fahrt eines nach vorne bewegenden U-Bahn, wie sie eine fünfminutige Teilstrecke durch mehreren Stationen abfährt und an einigen Stationen anhält. Obwohl die auf dem Bahnsteig wartenden Personen im Bild zu sehen sind, bleiben sie niemals im Zentrum des Interesses der Kamera. Nur in der letzten Station schwenkt die Kamera leicht nach links, um den Bahnsteig und seine Menschen besser im Blickfeld zu halten. Auf dieser Eben bleibt der Film eine kleine dokumentarische Exposition, die den Zuschauer ausserhalb der Grosstadt in die geheimnissvolle Welt der U-Bahn einführt. Aber auf der Bildebene zählt vor allem die Vorwärtsbewegung durch den Tunnel, die in diesem engen und schmalen Raum des U-Bahnschachts noch akzentuiert wird. Doch im Gegensatz zu anderen Filmen aus dieser Zeit, in der die Bewegung nach vorn den Zuschauer ein starkes Gefühl der Geschwindigkeit vermittelt, erzeugt die eigenwillige Bildgestaltung genau das Gegenteil: der Zug bleibt immer im Zentrum des Bildes, weil der dahinterfahrende Zug (auf der die Kamera steht) immer den gleichen Abstand behält, so dass dadurch eine absolut stabile Komposition und der Eindruck der Bewegung ohne Bewegung entsteht. Es gibt lange Momente im Film in denen die kontrastreichen schwarz-weiss Aufnahmen sich in ein völlig abstraktes Bild aufzulösen drohen und damit den Zuschauer zu einer selbst-reflexiven Haltung zwingen. Dieses Spiel mit der Perzeption des Raums erinnert heute an Ernie Gehrs Meisterwerk, Serene Velocity (1970), in dem der Künstler mit ganz anderen technischen Mitteln eine ähnliche optische Täuschung einsetzt, in dem er mittels Zoomobjektiv einen langen Korridor abtastet, um damit Bewegung ohne Bewegung zu erzielen. Genauso wie Gehr über die Gestaltung des Raums im Kino künstlerisch referiert, so kann auch Interior New York Subway als eine Meditation auf die Gestaltung des Raums im Film angesehen werden.
Interior New York Subway verlangt aber vom Zuschauer nicht nur, dass er seine Haltung gegenüber den auf der Leinwand dargestellten Raums ständig neu definiert, sondern zeigt ihm/ihr auch die gestalterischen Mittel seiner Konstruktion. Im letzten Teil des Films, sieht der Zuschauer den nebenherfahrenden Zug, der zuvor unsichtbar die Beleuchtung vom Nebengleis geliefert hatte, um im Tunnel filmen zu können. Damit weisst die Einstellung auch auf den dritten (unsichtbaren) Zug, auf dem die Kamera montiert war, den Blick des Zuschauers einnehmend. Somit erfüllt der Film auch eine pädagogische, bzw. aufklärerische Funktion, indem er die Mechanismen des Kino und seiner realen Produktion aufdeckt und dem Zuschauer transparent macht. Auf der Ebene des Metafilms dann hat dieser Film fast nichts mehr mit dem Blick auf die New Yorker U-Bahn zu tun.
Das fühe Kino zeigt nicht nur die neue Technologie, sondern auch die Urbanisierung. In den Städten manifestierte sich die Geschwindigkeit durch räumliche Beschränkungen. Die Stadtlandschaft setzt sich zusammen aus Gebäuden, die aufwärts reckten, in chaotisch auseinander strebenden Mengen, in U-Bahnen, die durch dunkle Tunnel dem Ungewissen entgegen schossen und Hochbahnen, die über die Stadt in Verkehrsfreienzonen ragten. In der Grosstadt wird der Raum verkleinert, die Zeit verkürzt. Als der junge Max Factor (später einer der wichtigsten Männer in Hollywood) im Jahre 1904 von Polen nach New York kam, fragte er angeblich einen Landsmann auf der Straße, ob es irgendwo in Amerika einen Ort gäbe, wo sich die Menschen langsamer bewegten, wo das Leben nicht in rasendem Tempo dahinschwand. Gleich dem jungen Immigranten bietet das frühe Kino ein ambivalentes Bild der Stadt. Auf der Sollseite können die vielen fühen Filme gelten, in denen Figuren wie "Rube und Mandy" erscheinen, Menschen vom Lande, die der Grosstadt zum Opfer fallen. Wie Max Factor, kommen sie weder mit der Technologie, noch mit der Geschwindigkeit des Lebens zurecht, so auch in A Rube in the Subway (1906, Biograph) in der der armselige "Auguste" von den sich zu schnell bewegenden Massen gebeutelt wird. In A Rube in the Subway kommen die begründeten Ängste der Städtler, wie auch des Landvolkes zum Ausdruck, von einer unkontrollierbaren Technologie verschlungen zu werden. (http//www.sixpackfilm.com)
Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/New_York_Subway
http://www.nycsubway.org/
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