St. John's Chapel on Varick Street, ca. 1910, from the collections of the museum of the city of New York
Wenn man dieses Gotteshaus nur so auf einen flüchtigen Blick hin betrachtet, könnte man schnell zu dem Ergebnis kommen, dass es sich (mal wieder) um die St. Paul's Chapel am Broadway zwischen Fulton und Vesey Street handelt. Tatsächlich sehen wir hier eine Kirche, die schon viele Jahre aus der Skyline verschwunden ist, ein weiteres Gebäude der Kategorie "Lost" bzw. "Gone".
Ideengeber / inspiration: http://ephemeralnewyork.wordpress.com/
Bilder / picture source: http://collections.mcny.org and Google Picture Search
Kartenmaterial / maps: http://maps.nyc.gov/doitt/nycitymap/ und http://www.davidrumsey.com/
Es handelt sich um die 1803 errichtete St. John's Chapel, gelegen an der Varick Street gegenüber vom St. John's Park.
Um die Unterschiede zwischen St. Paul's und St. John's zu klären, stelle ich mal zwei frühe Abbildungen gegenüber. Abweichend sind die Position der Türme und Details in der Gestaltung der beiden Türme.
St. Paul's Chapel, ca. 1780, from the collections of the museum of the city of New York
St. John's Chapel, ca 1820, from the collections of the museum of the city of New York
Um herauszufinden, wo sich St. John's einst befand, müssen wir uns in das Viertel mit dem schönen Namen "Tribeca" begeben, der für "Triangle below Canal Street" steht.
Ich habe die zwei entscheidenden Straßen mal eingezeichnet, mit rot die Varick Street und mit blau die Canal Street, in dieser Ecke von Manhattan eine der Hauptverkehrsadern unter den "horizontal" verlaufenden Straßen. Bitte links im Bild auch den Holland Tunnel nicht aus dem Auge verlieren, selbst wenn der ja eigentlich tief unter dem Hudson River zu suchen ist, so ist er für den von uns gesuchten Standort nicht unbedeutend.
Wenn wir uns noch weiter annähern, können wir den einstigen Standort recht gut bestimmen. St. John's Chapel lag einst an der Varick Street auf der Hälfte des Straßenblocks zwischen Laight Street und Ericsson Place. Man beachte das kleine Gässchen auf der Rückseite des Häuserblocks. Das trägt bis heute noch den Namen St. John's Lane.
Auch der Park, der wieder in der Mitte des kreisartigen Verkehrs an der Ausfahrt des Holland Tunnels angelegt wurde, trägt den Namen St. John's Park, es handelt sich aber nicht um einen Überrest des alten Parks, wie wir gleich sehen werden:
1924 war der Standort des Parks von einem einzigen großen Gebäude komplett belegt und die St. John's Chapel bereits verschwunden. 1996 fotografierte der Satellit bereits die Bedingungen, die im Wesentlichen auch heute noch dort anzutreffen sind:
Also, wenn Ihr das nächste Mal in New York bzw. New Jersey seid und eine Tour durch den Holland Tunnel nach Manhattan hinein wagt, dann vergesst nicht, Maut zu bezahlen und beim Rausfahren mal kurz an die St. John's Chapel zu denken.
Ich springe jetzt mal 180 Jahre zurück in der Zeit, als die Gegend, wo die St. John's Chapel gebaut worden war, eines der schönsten und attraktivsten Viertel in New York City war.
View of St. John's Chapel, from the Park 1829, from the collections of the museum of the city of New York
Diese Ansicht scheint ziemlich populär gewesen zu sein, denn sie tauchte auch noch ein paar Mal in Farbe auf:
Die eindrucksvollste Abbildung dieses Ortes stammt von dem Maler Edward Lamson Henry (1841-1919), der diesen Ort vielleicht noch so aus seiner Studentenzeit kannte, das nachfolgende Ölgemälde aber erst 1905 geschaffen hat.
Eine späte Abbildung des Parks aus dem Jahr 1866 (NYPL Digital Gallery):
Die erste greifbare Fotografie entstand ein Jahr später im Jahr 1867, da waren die Tage des Parks aber bereits gezählt. Der wurde nämlich in diesem Jahr von der Grundstückseignerin, der Trinity Church, an eine Eisenbahngesellschaft verkauft, die den Park entfernte und anstelle der grünen Oase ein Frachtdepot bauen ließ. Das war der Kasten, den man oben auf der 1924er-Luftaufnahme sehen konnte.
St. John's Park with St. John's Chapel in the Background, 1867, from the collections of the museum of the city of New York
Und schwupp - auf einmal waren die Bäume weg und stattdessen wurden gegenüber der Kirche Gräben gegraben und Steine geschichtet:
Und hier ist der Grund für den Tumult: das St. John's Park Terminal:
1870 entstand die folgende Zeichnung, die auf einer Fähre auf dem Hudson River gefertigt wurde und den Kirchturm von St. John's als einen aus dem Häusermeer hervorstechenden Blickfang der Skyline in diesem Viertel zeigt:
Sketch Taken on a Desbrosses St. Ferryboat, 1870, St. John's Chruch, 1870, from the collections of the museum of the city of New York
Jetzt ist es Zeit, auch mal den 1879er Stadtatlas von Bromley zu ziehen und auf den Ort des Geschehens zu blicken. Die Karte war nicht klassisch eingenordet, weshalb der Norden rechts zu suchen ist:
Und da sehen wir schon das "N.Y. Central and Hudson River Railroad Freight Depot", das anstelle des Parks den Platz gegenüber der St. John's Chapel einnahm. Und hier nochmal ein Detailblick auf die "St. John's Episcopal Chapel" und ihre Umgebung, die St. John's Lane und die York Street auf der Rückseite:
Ein ähnliches Bild auch 12 Jahre später im Stadtatlas von Bromley aus dem Jahr 1891. Der Gegend hat der Verlust des Parks und die Errichtung des Frachtdepots nicht gut getan, die feinen Damen und Herren, die Mitte des 19. Jahrhunderts hier noch flanierten, suchten sich nun ein neues sympathischeres Biotop, um dort zu wohnen.
Auf der nun folgenden Fotografie (ca. 1895) kann man das Frachtdepot bereits an der linken Seite sehen:
Churches, St. John's Chapel, ca. 1895, from the collections of the museum of the city of New York
Dieses "Detail" hat man auf der nächsten Zeichnung, die ein Jahr später 1896 entstand, großzügig ausgespart.
St. John's Chapel, Varick Street, 1896, from the collections of the museum of the city of New York
Zeit, auch mal ins Innere des Gotteshauses zu blicken, hier sind vier Ansichten vom Innenraum:
Interior of St. John's Chapel, ca. 1910, from the collections of the museum of the city of New York
46 Varick Street. St. John's Protestant Episcopal Chapel, interior, ca 1910, from the collections of the museum of the city of New York
Eine weitere bisher noch nicht gesehene Perspektive bietet die nachfolgende Fotografie, die die Rückansicht der Kirche von der York Street aus zeigt:
St. Johns Chapel from York Street and 6th Avenue, ca 1909, from the collections of the museum of the city of New York
Zwei Abbildungen der Varick Street und der Kirchenseite:
St. John's Chapel, Varick Street, March 18, 1909, from the collections of the museum of the city of New York
St. John's Chapel on Varick Street, ca. 1910, from the collections of the museum of the city of New York
Diese Fotografie vermittelt einen Eindruck davon, wie bedrückend sich die Errichtung des Frachtdepots auf die Umgebung ausgewirkt haben muss, der Blick vom Norden her, von der Laight Street aus:
46 Varick Street from the corner of Laight Street, showing neighboorhood, ca. 1910, from the collections of the museum of the city of New York
Das Gleiche gilt auch für den Blick vom Süden, auch hier schiebt sich die Central Freight Station, wie sie auf dem Foto oben genannt wird, unbarmherzig ins Bild:
St. John's Chapel, ca 1870-1910, from the collections of the museum of the city of New York
Wir kommen zum Jahr 1915, die St. John's Chapel hat nun auch die längste Zeit gestanden. Wenige Jahre vor dem Ende entstand noch die nachfolgende Bilderserie:
St. John's Chapel on Varick Street, ca 1915, from the collections of the museum of the city of New York
St. John's Chapel on Varick Street, ca 1915, from the collections of the museum of the city of New York
St. John's Chapel on Varick Street, ca 1915, from the collections of the museum of the city of New York
St. John's Chapel on Varick Street, ca 1915, from the collections of the museum of the city of New York
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs kam auch für die St. John's Chapel die Zeit, um Abschied zu nehmen. Auf diesem Foto, das kurz vor dem Abriss entstanden sein muss, kann man sehen, dass vermutlich nicht nur die Kirche, sondern auch die Nachbarhäuser rechts davon betroffen waren:
Schauen wir mal auf den Nachbarn gegenüber, denn auch dem blieben nur noch knapp zehn Jahre. Dann holte die moderne Verkehrpolitik das St. John's Terminal ein und es wurde 60 Jahre nach seiner Errichtung abgerissen, um Platz für die Ausfahrt des neugebauten und in Betrieb genommenen Holland Tunnels zu schaffen.
Auf dem Bild oben die Statue von Eisenbahnbesitzer Vanderbilt, der vermutlich für den Bau dieses sensiblen Depots verantwortlich war.
Mehr Infos zum Depot und zum Park gibt es hier:
Kehren wir zum Schluss noch mal wieder in die Gegenwart zurück:
So sieht das heute dort aus, zuerst 2009, dann 2013:
Jetzt hätte ich fast das Wichtigste vergessen, den Beitrag bei Ephemeral New York, der mich auf das Thema gebracht hat:
http://ephemeralnewyork.wordpress.com/2013/02/04/a-mystery-chapel-in-a-canal-street-subway-station/
Und dort wurde noch ein weiteres Beispiel dafür gezeigt, dass die seit 95 Jahren verschwundene St. John's Chapel doch noch nicht ganz vergessen ist.
In der U-Bahn-Station Canal Street / Varick Street findet man ein Mosaik, das die Erinnerung an die lange abgerissene Kirche aufrecht erhält.
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