Samstag, Februar 21, 2009

The Great Hoboken Pier Fire of 1900

Kapitel 153

Bei den Bildrecherchen zum Marie Lemke - Kapitel (Kapitel 110) im vergangenen Juli bin ich auf der Suche nach Bildern von Fähren, die zur letzten Jahrhundertwende zwischen New Jersey und Manhattan verkehrten, auf diese längst vergangene und vergessene Brandkatastrophe im Hafen von New York gestoßen, die sich wenige Jahre vor der General Slocum-Katastrophe ereignete.

Es gibt einige umfangreiche englischsprachige Seiten zu diesem Ereignis, als am 30. Juni 1900 die Piers der "Norddeutschen Lloyd" in Hoboken, New Jersey, lichterloh in Flammen standen. Allerdings bin ich immer wieder vor der notwendigen umfangreichen Übersetzungsarbeit zurückgeschreckt. In dieser Woche fand ich dann über Umwege einen zeitgenössischen Artikel aus der Tageszeitung "Innsbrucker Nachrichten", die am Dienstag, den 03.07.1900 ausführlich über den Brand berichtet hatte. Auch wenn dieser Bericht manchmal eine klare Gliederung vermissen lässt, widersprüchliche Informationen enthält und einige Wiederholungen aufweist, so informiert er jedoch ausführlich über die dramatischen Geschehnisse am Hudson River, weshalb ich ihn abgeschrieben habe und nun hier präsentieren möchte.

Damit schließt die kleine Marie-Lemke-Trilogie quasi mit einem Prequel, denn das Hoboken Pier Fire ereignete sich fast auf den Tag eineinhalb Jahre vor ihrer Ankunft in New York. Der Passagierdampfer, auf dem sie nach Übersee reiste, die "Kaiser Wilhelm der Große", war aber bei dem Feuer in Hoboken auch anwesend und wurde durch den Brand ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.

Innsbrucker Nachrichten - Dienstag, den 03.07.1900

GROSSES BRANDUNGLÜCK IM HAFEN VON NEW YORK

Eine furchtbare Schiffskatastrophe, die furchtbarste in der Geschichte New Yorks, hat sich am 30. Juni Nachmittag im Dock des Norddeutschen Lloyd in Hoboken, dem Landungsplatz atlantischer Dampferlinien bei New York, wie bereits gestern in Kürze berichtet wurde, ereignet. Nachmittags gegen vier Uhr entstand, während die Quais von Menschen überfüllt waren, Feuer. Es wurde unter einigen Ballen Baumwolle zuerst bemerkt. Die Ursache ist noch unbekannt, man nimmt an, sie sei in der Explosion eines Gefäßes mit Kohlensäure zu suchen.

Der Brand verbreitete sich mit rasender Schnelligkeit. Außer drei Lichterschiffen und einem Frachtdampfer mussten die Dampfer „Main“, „Bremen“ und „Saale“, sowie der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm der Große“ aus den Docks auf die Mitte des Flusses geschleppt werden. Inzwischen griff das Feuer weiter um sich und zerstörte alle Gebäude, während aus dem Feuermeer die Detonationen der Explosionen der in den Speichern aufgestapelten Ölfässer erschollen. Eine große Anzahl von Matrosen der brennenden Schiffe sprang ins Wasser.

Das Feuer auf dem „Kaiser Wilhelm“ konnte bald gelöscht werden, die „Saale“ und der „Main“ dagegen brannten bis zur Wasserlinie ab. Das ganze Quai-System des Norddeutschen Lloyd ist vom Feuer zerstört. Die Hamburg-Amerika-Linie sprengte ihre Piers mit Dynamit in die Luft, um eine weitere Ausbreitung der Feuersbrunst zu verhindern. Der Inspector des Norddeutschen Lloyd in New York, welcher die Überführung von Passagieren auf die Rettungsschiffe leitete, wird vermisst.

An Bord der „Bremen“ und „Saale“ spielten sich furchtbare Scenen ab. Von der „Saale“ sollen 70 Mann der Besatzung, darunter Capitän Mirow und namentlich Heizer und Maschinisten umgekommen sein. Der „Main“ soll 73 Todte und 60 Fehlende zu verzeichnen haben. Der muthmaßliche Verlust an Menschenleben auf der „Bremen“ beträgt 100 Mann. Der genaue Verlust an Menschenleben in den Docks von Hoboken kann noch nicht angegeben werden. Die Schätzung geht bis 250 Personen. Man sagt, zwischen 250 und 350 seien verletzt. Der Schaden ist ungeheuer und wird auf 10 bis 20 Millionen Dollar geschätzt. Infolge der herrschenden Verwirrung variieren die Zahlen sehr.

Das Wasser soll so voll von Leichen sein, wie der Strand von Coney Island voll von Badenden zu sein pflegt. Ein Augenzeuge sah Dutzende von Leuten, die versuchten, durch die Luken der brennenden Schiffe zu klettern. Wie man der „Frankfurter Zeitung“ aus New York telegraphiert, waren innerhalb weniger Minuten 750 Dockarbeiter und 100 andere Leute abgeschnitten.

Samstag ist der Tag, an dem die Dampfer besucht werden; infolge dessen waren die Docks voll von Männern, Frauen und Kindern. Hunderte sprangen in das Wasser und viele entkamen auf wunderbare Weise. Das Feuer wurde erst in Pier Nr. 3 in einigen Ballen Baumwolle entdeckt. Eine große Anzahl Fässer Whisky lag dicht dabei. Sie fingen Feuer und explodierten. Explosion folgte auf Explosion, und das Feuer verbreitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit. Die Wasserfront der Stadt Hoboken war oft in Gefahr, als das Feuer auf seiner Höhe war. Vom Strande aus war der Anblick schauerlich und Hunderttausende von Newyorkern sahen zu.

Die Rettung des gewaltigen Dampfers „Kaiser Wilhelm der Große“ war ein besonders glänzendes Stück Arbeit. Die meisten Officiere desselben waren an Bord und als Alarm gegeben wurde, nahmen sie sofort ihre Posten ein. Capitän Engelhardt rief die Commandos bezüglich Durchschneiden der Taue und Bewegung der Schleppdampfer. Matrosen mit Schläuchen und Handgranaten schützten unter eigener Lebensgefahr die Seiten des Dampfers. Leinwand und Holzwerk des Dampfers fing oft Feuer, und wären die Matrosen weniger schnell bei der Hand gewesen, so wäre das Schiff nicht gerettet worden.

Officiere und Mannschaft retteten, nachdem sie das Schiff in den Fluss hinausgebracht hatten, viele Leute von der „Saale“. Auf wundersame Weise entkamen unter anderem 29 Heizer aus dem Heizraum der „Saale“. Dieser Dampfer wurde in den Fluss hinausgeschleppt, während Dutzende von Menschen sich an sein Steuerruder klammerten. Schwimmende Dampfspritzen bekämpften das Feuer vier Stunden lang, während die Heizer im Heizraum dem Tod durch Feuer und Wasser entgegensahen.

Schließlich stiegen sie einander auf die Schultern, bildeten so ein lebendes Seil und zogen einander in Sicherheit hinauf. Doch heißt es, dass 70 andere unter Schrecken, die nicht zu beschreiben sind, ums Leben kamen. Man glaubt, Capitän Mirow ist unter den letztern. Der Dampfer „Main“ wurde beinahe zerstört, während er im Dock lag. Um Mitternacht wurde er in den Fluss hinausgezogen, während es in seinem Inneren noch brannte. Mann sah, als der „Main“ hinausgeschleppt wurde, deutlich Leichen auf seinem Verdeck.

Der „Frankfurter Zeitung“ wird über London telegraphiert, dass man noch nachts verzweifelte Menschen an den Luken des Dampfers „Main“ pochen hörte, aber die Schiffscapitäne und Kahnführer erklärten die Rettung für unmöglich, da sie nur ihr eigenes Leben in Gefahr bringen würden. Der Dampfer „Saale“ war nach Boston bestimmt, wo er eine größere Kirchengesellschaft zur Ausstellung an Bord nehmen sollte. Schon hier waren manche Frauen und Männer und viele Besucher an Bord. Vielleicht 80 verbrannten, auch 50 Heizer, sowie Capitän Mirow.

Als die Boote zur Rettung bei der nur an einer Stelle brennenden Bremen anlangten, sprangen so viele in dieselben, dass sie kenterten und Dutzende ertranken, während vielleicht fünfzig den Feuertod erlitten. Noch bis Mitternacht wurden lebende Menschen aus dem North River gezogen. Die Mannschaften der „Bremer“ Linie hielten sich ausgezeichnet, und die Hamburger Linie setzte sofort alle Rettungsboote aus und that alles, um die Menschen zu retten, indessen die Capitäne mancher kleinen Fahrzeuge sich schändlich benahmen, da sie erst Geld verlangten, bevor sie ans Rettungswerk gingen.

New Yorker Kabeldepeschen desselben Blattes berichten: Die Scenen auf der „Saale“ waren furchtbar. Das Schiff sank sehr schnell und aus allen Portluken streckten sich Arme und Köpfe, deren Inhaber sich vergeblich bemühten, den Leib durchzuzwängen. Schneller und schneller sank das Schiff, herzzerreißend tönten die Rufe der Unglücklichen. Ein Priester auf einem Schleppboot ertheilte den dem Tode Geweihten den letzten Segen, über denen die bald höher werdenden Fluthen zusammenschlugen. – Der Generalagent des „Nordd. Loyd“, Schwab, erklärte, dass alle geretteten Mannschaften Dienstag nach Deutschland zurückgehen.

Die Liste der Umgekommenen ist noch nicht zu erlangen, da zehn Hospitäler voller Verletzter liegen, deren Namen häufig noch unermittelt sind. Schwab sagt, die Angaben betreffs der Besucherzahl auf den Schiffen seien übertrieben. Der Friedensrichter Quinn von Hoboken erklärt, er habe 30 Menschen unter einem Dock ertrinken sehen. Das „Evening Journal“ gibt die Zahl der Todten auf 572, „Evening World“ auf 350, die der Verletzten auf 250 an. Die Gesammtmannschaft der verbrannten Schiffe beträgt 1000, von denen viele Landurlaub hatten.

Tausende umstehen die Brandstätte, wo die Feuerwehr noch mit dem ganzen Löschapparat arbeitet. Mehrere nahe den Docks wohnhafte Bürger erklären, dass die Zahl der Todten höher ist als man vermuthe, da allein auf dem Dampfer „Main“ 200 Besucher waren. Dieser Dampfer war ganz neu, daher die große Anziehungskraft für die Besucher, namentlich Samstag nachmittags, wenn die Geschäfte sehr früh schließen. Außer den erwähnten Schiffen sind noch 19 kleinere Fahrzeuge zerstört.

Die „Saale“ ist ein Schnelldampfer mit 9500 Pferdekräften und 134 Metern Länge; er wurde 1886 erbaut und lief am 21. vor. Monats von Bremen kommend in New York ein. Der Doppelschraubendampfer „Bremen“, 1897 erbaut, kam am 27. Juni an, und der große Reisedampfer des „Nordd. Lloyd“, „Kaiser Wilhelm der Große“, am 26. Juni. Die große Anzahl der augenblicklich in New York weilenden deutschen Schiffe des Lloyd erklärt sich daraus, dass drei Linien dort zusammentreffen.

DER BRAND IM HAFEN VON NEW YORK (die gleiche Ausgabe der Innsbrucker Nachrichten, auf einer späteren Seite)
New York, 2. Juli. Durch den in den Docks des Norddeutschen Lloyds in Hoboken ausgebrochenen Brand wurden vier Schiffe beschädigt. Eines ist infolge der Explosion gesunken. Bisher sind 56 Leichen von Angestellten des Lloyds geborgen. Die Gesammtzahl der Todten wird auf 200 geschätzt. Man glaubt, dass unter den Opfern nicht viele Passagiere sind.

London, 3. Juli. Hier eingetroffenen Nachrichten zufolge sind beim Schiffsbrande in Hoboken 400 Menschen umgekommen und zumeinst ertrunken. Die Ursache des Feuers ist noch nicht festgestellt.

New York, 2. Juli. Der Vertreter des „Norddeutschen Lloyds“ erklärte, dass bei dem Schiffsbrande in Hoboken 125 bis 150 Personen umgekommen sind. Der Schaden an Eigenthum beträgt 5 Millionen; es ist jedoch alles versichert.

Links:
http://www.pier3.org/pier3/casualties_nytimes.html
http://www.maggieblanck.com/JPetermann/Fire.html
http://www.maggieblanck.com/Hoboken/PhotosFire.html
http://www.maggieblanck.com/Hoboken/Hoboken.html
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=ibn&datum=19000703&seite=4&zoom=2
http://de.wikipedia.org/wiki/Hoboken_(New_Jersey)


Die vollständige Marie-Lemke-Trilogie:
1) Kapitel 110
http://nygeschichte.blogspot.com/2008/07/marie-lemkes-besuch-in-new-york-1902.html
2) Kapitel 151
http://nygeschichte.blogspot.com/2009/02/kaiser-wilhelm-der-groe.html
3) Kapitel 153
http://nygeschichte.blogspot.com/2009/02/great-hoboken-pier-fire-of-1900.html

3 Kommentare: