Ein weiteres Mal führt uns der Shorpy-Fundus in das Südmanhattan zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dieses Mal in das Herz des Financial Districts. Und wieder gilt der Tipp: geht auch mal rüber nach Shorpy und seht Euch das Bild dort an, die Präsentation ist dort noch imposanter als hier bei Blogger.
http://www.shorpy.com/node/9889?size=_originalDer Fotograf steht hier in bzw. ein Stück oberhalb der Broad Street vor der Kreuzung mit Exchange Place und fotografiert grob in nordöstliche Richtung. Dank der geringen Größe der Federal Hall an der Ecke Wall Street / Nassau Street (das Gebäude mit dem Aussehen eines griechischen Tempels) kann man trotz des Straßenknicks noch sehr weit in die Straßenschlucht der Nassau Street hineinblicken.
Wir starten in der Broad Street auf der linken Straßenseite. Das dritte Gebäude von links (dunkel und schmal) ist das Commercial Cable Building, dem wir erst unlängst hier begegnet sind.
http://nygeschichte.blogspot.com/2011/03/commercial-cable-building.html
Daneben niedriger und ebenfalls mit einer klassischen Tempelfassade das Gebäude der New York Stock Exchange, bei uns bis heute unter dem Namen New Yorker Börse bekannt. Dann erreichen wir die Kreuzung der Wall Street mit der Broad Street. Auf der rechten Seite die Federal Hall, von der ich eben schon einmal gesprochen habe, und die man immer noch an dieser Stelle findet. Bei Touristen wie mir immer gerne genommen für eine kleine Sitzrast auf der ausladenden Treppe, um das Getümmel in der Wall Street aus leicht erhöhter Positionin Augenschein zu nehmen.
Auf der Westseite der Kreuzung eines meiner absoluten Lieblingsgebäude unter den Gone Buildings: das Gillender Building (1897-1910), das zum Zeitpunkt der Aufnahme auch schon die längste Zeit gestanden hatte. Hier noch einmal in seiner ganzen ranken und schlanken Pracht zu bewundern. Direkt daneben ganz mickrig und duster und sechstöcking in die Ecke geknuffelt das Stevens Buiding, mit dem das Gillender Building zeitlebens eine Art Symbiose eingegangen war und mit dem es auch gemeinsam von der Bildfläche verschwand, um Platz für das Bankers Trust Building zu schaffen.
Rechts daneben und bei weiterm nicht so filigran wie das Gillender Building, das war das Hanover Bank Building von 1901-02, das das Gillender Building auch nur um einige Jahre überlebt hat, um dann Platz für einen Erweitungsbau des Bankers Trust Buildings zu liefern. Zuerst die beiden auf dem Shorpy Bild und dann nochmal auf einer separaten Aufnahme aus östlicher Richtung.
Wir kommen jetzt zu einer kleinen Rarität. Denn auf dem nächsten Straßenblock befand sich das alte Equitable Building, das 1912 niederbrannte. Die bekannten Aufnahmen zeigen es immer die Broadway-Front des Gebäudes. Was wir hier aber sehen, scheint mir die Rückseite des alten Equitable Buildings zu sein, so wie es an die Nassau Street grenzte. Und solche Aufnahmen sind nicht gerade reichlich gesäht.
Dahinter sieht man noch weitere Gebäude, deren Namen mir aber nicht bekannt sind, der Blick reicht aber die Nassau Street hinunter bis hin zum Straßenblock zwischen Liberty Street und Maiden Lane. Das "Namen nicht bekannt" gilt auch für die Gebäude, die sich an der rechten Straßenseite der Broad Street im Vordergrund befinden. Stattdessen mal wieder ein Blick aufs Volk am Boden. Aktienhandel macht hungrig. 1905 schien Obst ein beliebtes Fast Food zu sein, man kann den einen oder anderen Händler in der Menge ausmachen:
Äpfel und Bananen scheinen vor 106 Jahren das Trendobst im Financial District gewesen zu sein, wahrscheinlich wegen der relativ problemfreien Handhabung. Was mir beim Betrachten des Bildes noch aufgefallen ist, war die hohe Präsenz an Fahrzeugen mit einer Pferdestärke. Wir befinden uns wohl an einem Zeitpunkt, an dem das Automobil zwar bereits das Straßenbild mitprägt, aber noch nicht die Vorherrschaft übernommen hat.
Das hier scheint eine Art Taxi zu sein, die Zeit der gelben pferdelosen Kutschen liegt noch um die 60 Jahre in der Zukunft.
Ob das hier auch ein Taxi ist, sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall ist da einiges an Gepäck im Kofferraum (oder ist das hier eine Ladefläche?).
Dieses Fahrzeug hat offenbar eine paar Fahrgäste eingefangen. Jetzt aber die Preisfrage: Drei Fahrgäste auf der Kutschbank oder zwei Fahrgäste und ein Kutscher? Und wenn: Kutscher ja, dann wer von den dreien? Der in der Mitte mit dem langen dünnen Gegenstand, der mit der Zeitung links oder der rechts mit den Händen auf den Knien. Gar nicht so einfach oder?
Rätsel wirft auch dieses Fahrzeug hier auf. Was macht denn das Klavier auf der Ladefläche? Meine Theorie: Das ist so eine Art mobile Musikbox, möglicherweise mit Sängerin, die den pausierenden Händlern ein wenig Unterhaltung bietet.
Dann haben wir hier noch einen Schuhputzer links oben, der die Schuhe seines Kunden wienert, während der es sich auf dem eisernen Geländer "gemütlich" gemacht hat. Aber wem gilt die Aufmerksamkeit der drei Herren im Hauseingang? Doch wohl nicht dem Schuhputzer und seinem Kunden.
In dem Gebäude, vor dem die drei Herren standen, waren 1905 übrigens noch Büros zu vermieten:
Und ein paar Stockwerke höher wird jemand von der Neugier überwältigt.
Dann möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf diese schöne alte Lampe im Vordergrund lenken, die da recht elegant vor sich hin schnörkelt.
Nicht wirklich durchschaut habe ich dagegen jene Standuhr. Man kann zwar mit etwas Mühe ein Ziffernblatt und ein paar Zeiger erkennen, aber was ist das für ein Durcheinander hinter den Zeigern. Oder sind das nur Spiegelungen der Umgebung auf dem Uhrglas?
Ok, die nächsten Bilder sind nur für mich, ich habe in Anbetracht der vorhandenen Detailfülle das Gillender Building noch mal etwas näher herangeholt.
Und ganz zum Ende noch ein kurzer Blick in die Gegenwart. Ich weiss nicht, ob es sich hier um einen Street View handelt oder um ein ganz normales Foto, das ungefähr an der gleichen Stelle geschossen wurde.