In einem Buch über die Geschichte der Berliner Band "Tangerine Dream" bin ich auf einen interessanten kleinen Nebenast der Stadtgeschichte von New York gestoßen, den ich in diesem Beitrag mal kurz beleuchten möchte.
Bei dem Telharmonium, auch Dynamophon genannt, handelte es sich um das vermutlich erste elektronische bzw. elektromechanische Musikinstrument. Es wurde von einem Herrn Thaddeus Cahill gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und zum Patent angemeldet.
Eine erste Version des Instruments entstand schon 1900/1901 in Washington D.C., richtig Bewegung kam aber erst 1906 mit dem zweiten Instrument, ein drittes folgte 1911. Insgesamt wurden nur drei Instrumente bzw. Instrumentanlagen gebaut, was sicherlich auf die hohen Kosten, die bei dem Bau eines Telharmoniums entstanden, zurückzuführen. Die für den Bau des dritten Instruments entsprechen heute etwa 4 Millionen Dollar.
Die Photos oben zeigen jeweils nur den Spieltisch des Telharmoniums, das ganze Gerät war aber noch wesentlich größer und schwerer.
Die größte Version wog ungefähr 200 Tonnen und es benötigte zahlreiche Güterwaggons, um das Instrument vom Erbauer zum Bedarfsträger bzw. für Konzerte von einem zu einem anderen Ort zu transportieren.
Die Masse des Instruments kam vor allem dadurch zustande, dass für die Erzeugung jedes einzelnen Tons ein Zahnradgenerator vorgesehen war, ähnlich wie in einer herkömmlichen Kirchenorgel eine Vielzahl von Orgelpfeiffen für eine möglichst komplexe Tonerzeugung vorgehalten wird. Das Telharmonium konnte wie eine Kirchenorgel auch polyphon bespielt und verschiedene Klangfarben über unterschiedliche Manuale zusammengemischt werden.
Oder, um mal einen Experten hierzu sprechen zu lassen:
"Die Klangerzeugung arbeitete nach dem Prinzip der Additiven Klangsynthese: Für jeden Halbton existierte ein dampfgetriebener Wechselstromerzeuger in Form eines Zahnradgenerators. Diese erzeugten sinusförmige Schwingungen, deren Tonhöhe durch die Anzahl der Zähne eines Rades und seiner Drehzahl bestimmt wurde. "
Der Haken bei dem Instrument war aber der, dass es zum Zeitpunkt seiner Entwicklung noch keine Verstärker / Lautsprecher gab, so dass man die erzeugte elektromechanische Musik nur vernommen werden konnte, indem sie vom Instrument über einen Telefonanschluss zu einem Telefonhörer übertragen wurde, dem einzigen verfügbaren Instrument mit einer Art primitivem Lautsprecher.
Der zur Wahrnehmung im Telefonhörer notwendige Schalldruck kam also direkt aus dem Instrument und nicht, wie bei heutigen elektronischen Instrumenten üblich, aus einem dazwischengeschalteten Verstärker.
Wo mag wohl ein derart bizarres Instrument Anfang des 20. Jahrhunderts sinnvollerweise aufgestellt worden sein?
Die Antwort liegt auf der Hand: natürlich in New York City. Dort wurde im "Broadway Building" an der Nordostecke 39th Street / Broadway, also knapp unterhalb des Times Squares die sogenannte "Telharmonium Hall" eingerichtet, Die Anlage belegte dort den gesamten Keller, der Spieltisch befand sich in einem Raum im Erdgeschoss. Im September 1906 nahm das Telharmonium dann seinen "Sendebetrieb" auf.
Der Bromley Stadtatlas von 1909 zeigt das Umfeld, indem die Telharmonium Hall eingebettet war, auch wenn sie selbst nicht erwähnt wird, darunter die Metropolitan Opera in unmittelbarer Nachbarschaft.
Wegen der interessanten Photomotive in der Nachbarschaft (Metropolitan Opera, Casino Theatre) ist das Broadway Building nicht so oft abgelichtet worden. Hier sind zwei Aufnahmen, die ich finden konnte. Es handelt sich bei der ersten um das dunkle Gebäude rechts unter "Winter Garden". Die Sammlung der NYPL Digital Collections ist im Moment leider "unavailable".
Pierre P Pullis, Broadway and West 39th Street, 1918, from the collection of the museum of the city of New York
G W Pullis, 39th Street and Broadway, 1915, from the collection of the museum of the city of New York
Von dort wurden dann Telefonleitungen zu verschiedenen Bedarfsträgern in der Umgebung gelegt, die alle die Musikübertragungen des Telharmoniums abonniert hatten, darunter Louis Sherry's Restaurant, das Casino Theatre, das Waldorf-Astoria und das Hotel Astor am Times Square.
Leider ist keines der drei Instrumente bis in die Gegenwart erhalten geblieben, ebenso sind keine Aufnahmen von einem bespielten Telharmonium bekannt. Wenn es keine technischen Schwierigkeiten gab, sollen sich die mehrstimmigen Übertragungen des Instruments sehr schön, sehr klar angehört haben. Mark Twain war ein großer Anhänger dieses Instruments.
Leider gab es wohl häufiger Wechselwirkungen zwischen den direkt nebeneinander verlegten Telefon- und Telharmoniumleitungen, mit der Folge, dass es vermehrt zu Beschwerden von Telefonkunden kam, wenn gerade Telharmoniumübertragungen stattfanden.
Das letzte Konzert auf dem Telharmonium soll bereits 1916 stattgefunden haben.
Quellen:
Wiki eng.: https://en.wikipedia.org/wiki/Telharmonium
Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert war es gar nicht so unüblich, Unterhaltungsveranstaltungen per Telefon zu übertragen. In einem früheren Beitrag vor ungefähr einem Jahr hatten wir bereits ein ähnliches System, das sogenannte Theatrophone:
http://nygeschichte.blogspot.de/2014/07/opening-of-electrical-exposition-in-new.html
Einen sehr ausführlichen und informativen Beitrag in deutscher Sprache findet man noch hier, der anschaulich die Besonderheiten und klanglichen Probleme des mit 36 Tönen pro Oktave arbeitenden Instruments verdeutlicht:
http://www.bonedo.de/artikel/einzelansicht/die-geschichte-der-elektronischen-musik-1.html
Einen sehr ausführlichen und informativen Beitrag in deutscher Sprache findet man noch hier, der anschaulich die Besonderheiten und klanglichen Probleme des mit 36 Tönen pro Oktave arbeitenden Instruments verdeutlicht:
http://www.bonedo.de/artikel/einzelansicht/die-geschichte-der-elektronischen-musik-1.html
Über die Geschichte des Telharmoniums gibt es auch eine dreiteilige Dokumentation in englischer Sprache, die ich für alle Interessierten zum Abschluss noch hinzufüge. Wer Youtube kennt, weiß, dass dort keine Videopräsenz von Dauer ist, ich hoffe dennoch, dass diese interessanten Videodokumente noch eine Weile erhalten bleiben.
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