Zum Glück ist es seit gestern Nachmittag hier wieder auf erträgliche Außentemperaturen abgekühlt, so dass der Kopf nach der tagelangen Hitze wieder arbeiten kann, daher habe ich mich entschlossen, mal wieder ein Lebenszeichen im Blog zu hinterlassen.
Mir ist irgendwann in den letzten zwei bis drei Wochen die Photographie oben in der Facebook-Gruppe "The Old New York Page" aufgefallen. Lt. der Bildbeschreibung wurde sie am 22. August 1863 durch den Photographen Jeremiah Gurney in New York aufgenommen. Gurney hatte bereits in den 1840ern begonnen, in New York Menschen mittels Daguerreotypie zu porträtieren.
Im Mittelpunkt der Aufnahme oben, die während des Amerikanischen Bürgerkriegs entstanden ist, steht aber kein Mensch im Mittelpunkt, stattdessen eine ganz besondere und zu diesem Zeitpunkt bereits über 200 Jahr alte Pflanze.
Petrus Stuyvesant (1615-1672) war seit 1647 Generaldirektor der niederländischen Westindien-Kompanie in Nieuw Amsterdam und damit neben Peter Minuit sicherlich eine der bedeutendsten Figuren zu Beginn der Stadtgeschichte von New York City.
1664/1665 reiste Stuyvesant zurück in die Niederlande, nachdem die Engländer Nieuw Amsterdam erobert hatten, um in seiner Heimat Bericht zu erstatten. Als er nach diesem Heimataufenthalt nach Amerika zurückkehrte, hieß die Stadt nicht mehr Nieuw Amsterdam, sondern New York, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1672 verblieb.
Stuyvesant hatte 1647 aus den Niederlanden einen blühenden Birnenbaum (Pear Tree) mitgebracht, den er als lebendes Denkmal auf seinem Bauernhof pflanzen ließ, damit man sich auch noch dann an seinen Namen erinnern würde, wenn er selber nicht mehr lebte. Was ja auch gelungen ist, Stuyvesant ist bis heute ein bekannt gebliebener Name und selbst sein Bauerhof wurde durch den Straßennamen Bowery / Bauerei unsterblich gemacht.
In den folgenden Jahrzehnten wuchs der Birnenbaum und mit ihm auch die junge Stadt New York. Und die Umgebung, wo der Baum einst auf dem Bauerhof von Herrn Stuyvesant stand, wurde im Laufe der Zeit ein Teil der Stadt New York.
Das Farmhaus verschwand irgendwann aus dem Stadtbild, aber offenbar war man bereit, Stuyvesants Wunsch zu folgen und ließ den alten Birnbaum weiter stehen, nun an der Nordostecke der Kreuzung Third Avenue und 13th Street im Südosten von Manhattan.
Auf der Karte von 1836 fällt bereits auf, dass in räumlicher Nähe zur einstigen Farm eine Straße "Stuyvesant Place" und ein Platz "Stuyvesant Square" genannt wurden.
Die Karte von 1853 zeigt, dass die Umgebung des Birnbaumes spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts städtisch geworden war.
Louis Oram, Stuyvesants Pear Tree, 1856, from the collection of the museum of the city of New York
Stuyvesants Pear Tree, 1856, from the collection of the museum of the city of New York
Aus Stuyvesants Baum wurde mit der Zeit ein Ausflugsziel, das Besucher aus dem Umland anzog, die jene Kreuzung der Third Avenue mit der 13th Street aufsuchten, um das angeblich älteste lebende Wesen in New York zu bestaunen, einen fast 200 Jahre alten Baum.
Neben dem bereits eingangs gezeigten Photo von 1863 haben wir hier noch eine schöne Stereo-Card vom alten Birnbaum aus der Sammlung der öffentlichen Bibliothek von New York:
Hier eine größere Version der oben gezeigten Doppelphotografie zum hineinschlüpfen:
Die gleiche Aufnahme nochmal auf einer anderen Stereo-Card:
Die Geschichte von Peter Stuyvesants Birnbaum endete nach ungefähr 220 Jahren im Februar 1867. Durch einen schweren Wintersturm war der Baum bereits angeknackst und geschwächt. Da kollidierten an der Kreuzung zwei schwere Fuhrwerke, wie sie zum Beispiel von Brauereien zum Transport ihrer Fracht benutzt werden. Dabei wurde ein Fuhrwerk gegen den Baum geschoben, der der dem Aufprall nicht standhielt und umknickte. Hier der dazugehörige Bericht aus der New York Times:
Ok, das Schicksal des Birnbaums wurde durch höhere Gewalt besiegelt. Allerdings wurde nur einige Jahre nach dem Unfall die Hochbahntrasse der Third Avenue Elevated Railroad (3rd Ave El) entlang der Third Avenue errichtet. Und in diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, ob der Baum diese Baumaßnahme überstanden oder ob er dem technischen Fortschritt beim öffentlichen Personennahverkehr im Weg gestanden hätte und spätestens dann umgesägt worden wäre.
Hier der Blick auf die Nordwestecke der Kreuzung Third Avenue / 13th Street 1933, als die Hochbahn entlang der Third Avenue noch in Betrieb war:
Zumal die Hochbahn an der 14th Street eine Station hatte, wie man sowohl oben als auch auf dieser 1934 an der Ostseite der Third Avenue auf Höhe der 12th Avenue aufgenommen sehen kann:
Bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind noch zwei Artefakte. Zum einen ein Querschnitt des Baums, der bei der "New York Historical Society" besichtigt werden kann:
Zum anderen eine Gedenktafel, die bereits 1890 von der "Holland Society" am einstigen Standort des Birnbaums angebracht wurde:
Zum Abschluss noch ein Blick auf die Gegenwart. Die Hochbahntrasse über der Third Avenue dürfte mittlerweile schon mindestens 70 Jahre Geschichte sein. Den Standort des Birnbaums an der Nordostecke habe ich wieder mit einem roten Kreuz markiert:
google maps
Die Third Avenue in Blickrichtung nach Norden mit der Nordostecke im Zentrum des Bildausschnitts:
Gegenwart und Vergangenheit zum Vergleich soweit möglich: erst 1863, dann 2017.
Ich habe mir natürlich die Frage gestellt, ob die beiden Gebäude an der Straßenecke identisch sind. Das wohl nicht, denn lt. Gebäudeauskunft bei NYCityMaps wurde das gegenwärtige Eckhaus 1920 errichtet. Aber - und das fand ich interessant - nennt sich die Eigentümergesellschaft des Gebäudes "Pear Tree Place Condo".
Noch eine zweite Gegenüberstellung und dann soll es das für heute gewesen sein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
P.S.: In Zeiten, in denen das Bemalen des eigenen Körpers nicht mehr nur Seemännern und Knastbrüdern vorbehalten ist, scheint es auch jemanden zu geben, der sich Stuyvesants Birnbaum in die Haut hat ritzen lassen:
Links:
Schön mal wieder von dir zu hören hatte nicht mehr damit gerechnet - freut mich!
AntwortenLöschenGrüsse JPJ
Hallo JPJ, freut mich genauso, schön, dass Du immer noch unter den Bloglesern bist. Gruß vom Schaedel
LöschenMit einiger Verspätung kann ich auch nur sagen: Klasse, dass es hier wieder was Neues gibt :) Danke Schädel. Die Geschichte erinnert mich an die Heinrichslinde in Braunschweig - auch jahrhundertelang ein Anziehungspunkt.
AntwortenLöschenO'Boyle, schön, dass Du auch noch da bist und Ausschau nach dem Blog gehalten hast. Ich schreibe gerade an einem neuen Beitrag, den ich hoffentlich noch heute (Sonntag, 18.08.) in die Öffentlichkeit schieben kann.
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