Auf diesen Artikel in der New York Times vom 20.10.2010 hat mich Mike von NYC Total aufmerksam gemacht. Bei der Gelegenheit werden wir mal hinabsteigen in die Vergangenheit einer der ältesten U-Bahn-Stationen in New York, der Station mit dem Namen 59th Street / Columbus Circle.
Durch die hohen Bevölkerungszuwächse ergab sich in New York City schon früh ein Problem, das Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Ab den 1870ern versuchte man, dieses Problem zu lösen, indem man überall in der Stadt Hochbahnen baute, die in der Regel den vertikal von Süden nach Norden verlaufenden Avenues folgten. Aber die Hochbahnen waren laut, unter Dampfbetrieb wahrscheinlich auch schmutzig und benötigten eine Menge Platz mitten in der Stadt, dort wo ohnehin kaum Raum zur Verfügung stand. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde entschieden, dem Vorbild von anderen Metropolen wie London und Paris zu folgen und der Stadt New York ein neues Verkehrsmittel hinzuzufügen. Damit sollten die Menschenmengen nicht mehr ausschließlich überirdisch, sondern in besonders dicht besiedeltem Gelände wie Manhattan vornehmlich unterirdisch transportiert werden.
Mit Beginn des neuen Jahrhunderts begannen die Arbeiten an der ersten New Yorker U-Bahn, der "Interborough Rapid Transit Subway", kurz IRT. Der damalige Bürgermeister der Stadt New York, Robert Anderson Van Wyck, trat am 24. März 1900 aus seinem Rathaus und musste nur wenige Meter laufen, um dort am City Hall Park den ersten Spatenstich für die Arbeiten an der New Yorker U-Bahn zu tätigen. Ein ehrgeiziges Projekt, bei dem nicht nur die Enge der dicht und hoch bebauten Großstadt ein Hindernis war, auch Höhenunterschiede im Gelände, tiefe Gräben und Hügel stellten die Ingenieure vor einige Herausforderungen, denn die Bahn erstreckte sich bis weit hoch in den Norden Manhattans.
Unser Interesse gilt aber nur einem ganz kleinen Teilabschnitt der ersten U-Bahn. Ab der 42nd Street, später Times Square, verlief die U-Bahn unter dem Broadway, der an der Südwest-Ecke des Central Parks die 59th Street, die 8th Avenue bzw. die Central Park West streifte. An diesem Verkehrsknotenpunkt mit dem Namen Columbus Circle wurde jetzt auch noch eine U-Bahn-Station hinzugefügt.
Die Station mit dem Namen 59th Street / Columbus Circle war 1901 unter den ersten fertiggestellten Stationen, wurde aber erst am 27.10.1904 eröffnet. Das folgende Bild entstand während des Baus und zeigt die Station Columbus Circle während der Bauphase gegen Ende der Stahlarbeiten. Die Arbeiten an Decke, Fußboden und Wänden sind bereits abgeschlossen.
Dieser Abschnitt bereitete den Ingenieuren besondere Kopfschmerzen, weil oberhalb der geplanten Station das Columbus Monument stand und dessen massiver gemauerter Sockel ragte in den Raum hinein, den die Station zukünftig in Anspruch nahm. Diese drei Zeichnungen dokumentieren das Problem und seine Lösung:
Die drei nun folgenden Bilder sind zeitlich nicht genau bestimmt, scheinen aber noch vor Ende der Bauarbeiten in der noch nicht geöffneten Station aufgenonmen worden zu sein.
1904, in und oberhalb der neuen Station entstanden diese drei Aufnahmen, die einen Eingang zur U-Bahn, den Bahnsteig und eine Detailaufnahme der angebrachten Ornamente zeigen.
Nachdem wir weit genug in die vergangene Welt der alten Station am Columbus Circle eingetaucht sind, werfen wir jetzt mal einen Blick darauf, was die New York Times vor wenigen Tagen geschrieben hat:
"Hinter einer alten Wand in der U-Bahn, ein Blick auf eine noch ältere
Wenn die Menschen New York mit Rom vergleichen, ist das Ergebnis in der Regel nicht schmeichelhaft für New York. Aber unsere Stadt teilt zumindest eine Besonderheit mit der ewigen Stadt: wenn Du irgendwo eine alte Wand niederreisst, kommt dahinter eine noch ältere zum Vorschein.
Ein Tor in die Vergangenheit hat sich vor kurzem auf dem Bahnsteig der 59th Street / Columbus Circle-Station geöffnet, am Bahnsteig für nordwärts fahrende Züge der Subway-Linie 1. Durch ein Loch in der aktuellen Wandverkleidung, unter einer der Keramikplatten, auf denen das Flaggschiff von Columbus zu sehen ist, erkennt man schwach ein ungewöhnliches Muster: eine Guilloche, also ein Ornament aus mehreren ineinander verwickelten und überlappenden Linienzügen, in der Form eines zweidimensionalen Hefezopfes, gebildet aus roten und gelben Mosaiksteinchen.
Wir steigen auf eine nahegelegene Bank (wobei wir die vielseitigen Qualitäten einer Tageszeitung ausnutzen und damit die Sitzfläche abdecken) und die Wand offenbart noch mehr von sich. Neben dem Guilloche-Muster befindet sich ein großes blau-graues Mosaik-Medaillon, darin eingeschlossen ein vierblättriges Gebilde, das man als Quatrefoil kennt, im Deutschen Vierpass genannt. Es ist nicht zu erkennen, ob es sich um eine richtiges Mosaik aus einzelnen Steinen handelt oder um eine große Platte mit einem eingeprägten Mosaik.
Was wir wissen, ist, dass die Geschichte weit zurück in die Vergangenheit führt, in das Jahr 1901, also drei Jahre, bevor die New Yorker U-Bahn eröffnet wurde. In seinem Buch "Silver Connections" (1984), einem Monumentalwerk über die New Yorker U-Bahn, schrieb Autor Philip Ashforth Coppola, dass die Columbus Circle Station eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des gesamten Systems gespielt hat. Es war praktisch die erste Station, die als Bauwerk vollständig fertiggestellt wurde. Deshalb nutzen die Architekten ihre Wände wie eine Art Kunstgallerie, als eine Art Experimentierfeld, um dekorative Ideen mit verschiedenfarbigen Fliesen und anderen Materialien auszuprobieren.
Nach einer kurzen Existenz während der Jahrhundertwende wurden alle diese Vor-Versuche mit dem endgültigen Wandschmuck bedeckt und danach vergessen, schrieb Mr. Coppola. Sie wurden durch etwas noch gewaltigeres ersetzt: Terracotta-Schmuck im "Arts and Crafts-Stil" in Museumsqualität, entworfen und hergestellt von der renommierten Firma "Grueby Faience Company" aus Boston. Grueby's Kunstwerke wurden hier 106 Jahre lang der Öffentlichkeit präsentiert.
Als 2007 umfangreiche Renovierungsarbeiten in der U-Bahn-Station in Angriff genommen wurden, kamen auch die vergessenen Spuren aus der Vergangenheit wieder ans Licht, weil dabei die Wände, die vor den Prototypen errichtet worden waren, niedergerissen wurden. Die New York Times hatte bereits im November 2007 berichtet, als eine alte Keramikplatte bei den Arbeiten zum Vorschein gekommen war.
Auf der weißblauen Platte im Art Nouveau-Stil befand sich folgende Aufschrift: "The Tiles in This Exhibit are the product of the American Encaustic Tiling Co. Limited / Zanesville Ohio / New-York N.Y.” (Die Fliesen in dieser Ausstellung wurden von der American Encaustic Tiling Company Limited mit Sitz in Zanesville, Ohio und New York City hergestellt).
Bei der Ausstellung, die auf der Fliese erwähnt wird, handelt es sich genau um das in der noch nicht eröffneten U-Bahn-Station unter dem Columbus Circle gelegene Experimentierfeld der U-Bahn-Architekten, das oben beschrieben wurde. Die Plakette wurde in der Zwischenzeit restauriert und an einer anderen Stelle in der Station wieder aufgehängt.
Die Wand mit dem Guilloche und dem Medaillon dagegen sind erst vor kurzem entdeckt worden. Es wird nicht lange dauern, bis sie wieder eingemauert werden. Aber es scheint gute Neuigkeiten für die geschichtsbewußten New Yorker zu geben: "Wir sind uns der historischen Bedeutung dieses Fundes durchaus bewusst", sagte Charles F. Seaton, der Sprecher der New York City Transit, "und wir arbeiten an einem Entwurf für eine Art Fenster in der Wand, das es ermöglicht, diesen Schatz zukünftig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Nun, das klingt doch wie etwas, was sie auch in Rom machen würden."
Quellen:
Der Artikel in der New York Times vom Oktober 2010
http://cityroom.blogs.nytimes.com/2010/10/20/antique-mosaic-comes-to-light-not-far-from-where-the-coliseum-stood/?ref=nyregion
Der Artikel in der New York Times vom November 2007
http://www.nytimes.com/2007/11/02/nyregion/02plaque.html?_r=1
Eine ausführliche Seite über die erste U-Bahn
http://www.nycsubway.org/irtsubway.html
Eine Seite über die U-Bahn-Station 59th Street / Columbus Circle
http://www.nycsubway.org/perl/stations?6:3137
Eine Seite über den damaligen Bürgermeister von New York
über den Arts and Crafts - Stile und Grueby
Vielen Dank an Mike für den Hinweis auf den Artikel und das wunderbar zu diesem Blog passende Thema.