Montag, Juli 28, 2008

Blick von der Trinity Church 1872

Kapitel 114

Dieser historische Blick vom Turm der Trinity Church in Manhattan wurde am 15.06.1872 festgehalten. Man sieht in Richtung Norden den Broadway hoch.

Rechts im Bild gut zu erkennen ist das alte Equitable Building aus Kapitel 92, das zu diesem Zeitpunkt ungefähr 2 Jahre fertiggestellt war. Gegenüber hinter dem Garten der Vorläufer des Trinity und U.S. Realty - Buildings aus Kapitel 89. Hier ist mir der Name aber nicht bekannt.

Die Kirche im Hintergrund dürfte St. Pauls an der Ecke Broadway / Vesey Street sein.

Als Zugabe gibt es noch einen weiteren Blick vom Turm der Trinity Church, dieses Mal in die Gegenrichtung auf die Südspitze Manhattans, entstanden 1874. Zu erkennen sind hier Bowling Green und der Battery Park.


Link:
http://digitalgallery.nypl.org/nypldigital/dgkeysearchdetail.cfm?trg=1&strucID=717283&imageID=800290&word=trinity%20church%201872&s=1&notword=&d=&c=&f=&lWord=&lField=&sScope=&sLevel=&sLabel=&total=12&num=0&imgs=12&pNum=&pos=1#

Meet me down at Coney Island (1930)

Kapitel 113

Im neuesten Video-Kapitel habe ich einen weiteren Film über Coney Island eingestellt. Es handelt sich hier um einen frühen Tonfilm aus dem Jahr 1930. Neben Coney Island sind am Anfang auch kurz Bilder von Manhattan zu sehen.

A FOX Movietone film from 1930Note: Opening shots feature (In order) Bowling Green in Lower Manhattan, Washington Square Park and Central Park.

Donnerstag, Juli 24, 2008

Brooklyn und Manhattan 1854

Kapitel 112
Einen ungewohnten Blick auf Brooklyn und Manhattan bietet dieses Gemälde, welches Hubert Sattler 1854 fertigte. Vor 150 Jahren sah New York noch deutlich anders aus als heute, vor allem fällt ins Auge, dass es eigentlich nur Kirchen und ein paar Fabrikschlote sind, die zu dieser Zeit aus dem allgemeinen Stadtbild herausragen. Höchstes Gebäude in Manhattan war zu dieser Zeit und auch noch bis 1890 die Trinity Church, die 8 Jahre zuvor fertiggestellt wurde. Man sieht sie knapp links von der Bildmitte hinter einer Ansammlung von rauchenden Kaminen.

Der Standort des Betrachters / Malers müsste in Brooklyn zu finden sein, vermutlich etwas nördlich von der Williamsburg Bridge.

Links:
http://www.smca.at/presse/press_formular.php?pmid=132
http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_tallest_buildings_in_New_York_City

The West Side and Yonkers Patent Railway

Kapitel 111 Ich habe mich in der Vergangenheit schon häufiger mit den Hochbahnen von Manhattan, den Elevated Railways befasst. Dem Beginn des Zeitalters der Hochbahnen habe ich aber noch kein Kapitel gewidmet. Dabei ist auch dieses hochinteressant, denn der Antrieb der ersten Hochbahnen war noch sehr ungewöhnlich. Es handelte sich dabei im Prinzip um eine Dampfmaschine, die ein Kabel antrieb, das wiederum für die Bewegung von Fahrzeugen auf den ersten Hochbahnen sorgte.
Die "West Side and Yonkers"-Patent-Eisenbahn wurde in der Zeit von 1868 bis 1870 von Charles T. Harvey entlang der Greenwich Street und 9th Avenue gebaut. Die Linie setzte sich aus vielen einzelnen kreisförmig geschlossenen Kabelsystemen (cable loops) zusammen. Ein cable loop wiederum wurde mit einem Kabel betrieben, das ca. eine Meile lang war. Der Antrieb der cable loops erfolgte durch den Einsatz von Dampfmaschinen, die sich den Kellern von Gebäuden entlang der Strecke befanden. Wenn sich ein Wagon näherte, wurde der cable-loop in Bewegung gesetzt und wenn er den Abschnitt passiert hatte, stoppte das Kabel wieder. An den Kabeln waren Kragen (travelers) befestigt, in die die Waggons mit Krallen einhakten. Ein fließender Übergang von einem zum anderen Kabel war nicht möglich, so dass der Kabelwechsel jeweils mit einem Ruck stattfand.

Dieses Foto ist eines der bekanntesten in der Geschichte der New Yorker Verkehrsmittel. Es zeigt Harvey bei einem Testlauf der Kabel-Hochbahn im Dezember 1867. Er fixiert eine Transportkralle an dem Traveler, den man zwischen den Streben der Hochbahn herausragen sehen kann. Allerdings muss man davon ausgehen, dass das Foto bis zu einem gewissen Grad gestellt ist, weil aufgrund der damals noch üblichen langen Belichtungszeiten im Betrieb kein klares Abbild des Gefährts möglich gewesen wäre. Das Ende der Linie war zu dieser Zeit an der Straßenecke Morris Street /Greenwich Street. Die Kabelschleife verlief zu dieser Zeit noch in einem Kanal unter dem Bürgersteig und bewegte sich mit einer Durchschnitts-geschwindigkeit von 10-15 Meilen pro Stunde. Später wurde sie direkt unter der Hochbahn verlegt, nachdem im Winter Wasser in den Kabelkanal eingedrungen und das Kabel einfroren war. Das Gebäude links im Hintergrund wurde bereits ein Jahr später abgerissen, als Trinity Place von einer Sackgasse aus bis in die Mitte des Blocks ausgedehnt wurde.

Der Passagierwagen steht auf diesem Foto aus dem Jahr 1868 am Nordende der Versuchsstrecke an der Cortlandt Street. Die Liberty Street wird von etwas dickeren Streben überspannt und seltsamerweise scheint in der Liberty Street noch ein weiterer Pfeiler zu stehen, zu dem aber keine Streben führen. Am 10. Juli 1868 wechselte die Betreibergesellschaft ihren Namen in "West Side Elevated (Patented) Railway Company of New York City"

Stanley Fox malte die Hochbahn für die Ausgabe der Wochenzeitung "Harpers Weekly" vom 21.07.1868 (also vor gut 140 Jahren), so wie man sie von der Endstation am Battery Place aus sah. Das Kabel mit den travelers verschwandt durch den extra dicken Pfeiler am Ende der Linie in den unterirdischen Rücklaufkanal. Im Gegensatz zu späteren Modellen hatte das hier verwendete Gefährt noch keine Ausstiege zur Seite, sondern nur nach vorne und hinten.

Die West Side Elevated stellte im späten März 1870 den ersten betreibbaren Abschnitt von einer südlichen Station an der Dey Street bis zum Hudson River Railroad Terminal (Pferdeomnibusse) an der 29th Street fertig. Ursprünglich war dieses bereits für Dezember 1869 geplant gewesen.

Eine Versuchsfahrt wurde am 09. April 1870 mit eingeladenen Gästen durchgeführt. Danach folgten weitere Testfahrten. Eine sah vor, einen Wagen mit dem Dreifachen des zu erwartenden Gewichts zu fahren. Diese fand am 16. Mai 1870 statt. Ein Passagierwagen startete gegen drei Uhr am südlichen Terminal, der mit neun Personen besetzt war, darunter Arbeiter und Mitarbeiter der Gesellschaft. In einer Distanz von 20 Fuß folgte ein Wagen mit einer Plattform, auf dem zwölf Tonnen Roheisen platziert worden waren.

Die beiden Wagen fuhren zunächst schnell und sicher in Richtung uptown nach Norden. An der Ecke Houston Street und Greenwich Street endete ein Abschnitt der Strecke und ein anderer begann. Die Wagen wurden von der Kette unter der Houston-Street abgekoppelt, mit der Erwartung, dass sie wie üblich ausreichend weit nach vorne weiterbewegten, so dass sie von der Kette gepackt werden konnten, die von dem Motor jenseits der Houston Street bewegt wurde.

Plötzlich aber gab das Gleis unter dem Gewicht des Plattform-Wagens nach und stürzte 14 Fuß tief zur Straße hinunter. Der Bruch des Gleises an dieser Stelle brachte auch den Passagier-Wagen zu Fall, der die entstandene schiefe Ebene hinunterrutschte und inclusive den Insassen mit einem furchtbaren Krach auf die Straße aufschlug. Einige der Arbeiter wurden verletzt und ein 150 Fuß langer Abschnitt der Linie - fast ein Häuserblock - war zur Straße hinabgestürzt.

Die Ingenieure der Gesellschaft gaben aber nicht auf. Die Brückenübergänge wurden verstärkt und dieselben Tests wurden erneut an der gesamten Linie ausprobiert, bevor die Eröffnung heranstand. Dieses Bild aus dem Jahr 1870 ermöglicht einen schönen Blick auf die Struktur der West Side Elevated, während sie die Fulton Street einen Block nördlich des Dey Street Terminals passiert. Die längere Strebe über die Straße hinweg besteht wieder aus dickerem Stahl. Gut zu erkennen ist auch der Rücklauf-Pfad für das Kabel, der direkt unter den Schienen verläuft, das sich nunmehr mit einer Geschwindigkeit von 12 Meilen pro Stunde bewegt und somit schneller als die späteren Cable Cars in San Francisco oder anderswo. Im Hintergrund rechts sieht man das Geschäftshaus SEGARS und die Ocean National Bank befand sich noch an dieser Ecke, bevor sie ungefähr ein Jahr später zum Broadway verlegt wurde.


Die größte Kurve der Hochbahn war an der Kreuzung von Gansevoort Street und Little West 12th Street, wo der Wechsel von der Greenwich Street zur Ninth Avenue stattfand, auf den Fotos in beide Richtungen zu beschauen. William Fullerton Reeves beschrieb in einem alten Ingenieurswitz die Methode, wie man die Kurve mit dem Kabel nehmen konnte. Tatsächlich war dieses aber nicht zutreffend. Das Ende des 22nd Street-Kabels it im Vordergrund gut zu erkennen und jenseits der Greenwich Street der Beginn des Bethune Street-Kabels. Dieses war einer der Orte, an dem die Wagen eine Lücke überbrücken mussten und die Passagiere manchmal ordentlich geschüttelt wurden, wenn der Traveler des nächsten Kabels anpackte.

Diese Illustration von A.C. Warren aus dem "Appleton’s Journal of Literature, Science and Art" vom 25. Juni 1870 zeigt die Kabelschächte der Motorstation an der 22nd Street. Da sowohl Kabel vom Norden als auch vom Süden und jeweils in beiden Richtungen von der Hochbahn hinabgeführt wurden, ist davon auszugehen, dass hier zwei separate Kabel angetrieben wurden.
Auf diesem Bild aus dem Jahr 1870 schließlich steht Wagen Nr. 1 an der 29th Street Station. Sie ist so klein, dass der Wagen sie fast vollständig verdeckt, aber die Treppe ist gut zu sehen und das Geländer am Ende des Bahnsteigs kann im überbelichteten Bereich oben rechts ausgemacht werden. Auf dem Wagen steht "GREENWICH ST AND NINTH AVENUE" oberhalb der Fenster und darunter auf der Seite sieht man ein wunderbares rundes Emblem mit "VEST SIDE ELEVATED" über einem kleineren "PATENTED" über "RAILWAY CO", alles herum um die Nummer 1. Das Hudson River Railroad Terminal (Pferdeomnibusse) war in dem ganz schwach zu erkennenden Häuserblock auf der rechten Seite, wo gerade ein Omnibus seine Fahrt beginnt.

Die Hochbahn wurde schließlich für die Öffentlichkeit am Samstag, dem 11. Juni 1870 freigegeben. Sie funktionierte mit einer tolerablen Regelmäßigkeit und bei Vollbesetzung mit Passagieren. Es gab zwar nur zwei Stationen an der Dey Street und an der 29th Street, aber sie bot eine gute Dienstleistung für die Passagiere der Hudson River RAilroad, die erheblich schneller als mit den Pferdeomnibussen der Ninth Avenue Railroad oder der Broadway Omnibus Line zum Terminal gelangten.

Das einzige Gleis der Linie lief über die Ostseite der Greenwhich Street und die West Seite der Ninth Avenue, der Wechsel von der einen zur anderen Straße erfolgte an der Little West 12th Street. Das Gleis setzte sich jenseits beider Terminals fort. Am Südende folgte der zu allererst gebaute Abschnitt, die ehemalige Versuchsstrecke, die sich ein paar Blocks vom Battery Place zur Cortlandt Street hinzog und nicht für den Passagierbetrieb genutzt wurde, am Nordende setzte sich das Gleis einen Block weiter bis zur 30th Street fort. Dieses waren die einzigen Orte, in denen die Waggons verstaut werden konnten. Die drei Waggons liefen nicht als ein kompletter Zug, aber sie mussten wie eine Flotte bewegt werden, alle nacheinander unterwegs in derselben Richtung mit einem Abstand von einigen Minuten. Wenn der letzte Wagen dann den letzten Abschnitt verlassen hatte, wurde das Kabel gestoppt und in die Gegenrichtung gezogen. Die Bahnsteige hatten nur Platz für einen Waggon. Der erste und zweite Waggon mussten hinter die Station weiterfahren, nachdem sie die Passagiere abgesetzt hatten, um Platz für den nächsten Waggon zu machen. Ähnlich konnte auch nur jeweils ein Waggon beladen werden.

Es traten sehr schnell eine Menge Probleme beim Arbeitsbetrieb des Kabels auf. Schon am 14. Juni 1870 gab es eine Kollision beim Terminal an der 29th Street, als sich ein ankommender Waggon nicht vom Kabel lösen konnte und den vorausgefahrenen Waggon rammte. Weil der Waggon über die Platform hinausfuhr und nicht zurückbewegt werden konnte, mussten die Passagiere das Gefährt mit Leitern verlassen, um auf die Straße zurückzukommen. Am 22. Juni 1870 wurde die Maschinerie beschädigt, nachdem ein Wagen die Kabellücke an der Houston Street überquert hatte und ein Rad (von einem traveler?) in Stücken auf die Straße hinunterstürzte. Wieder mussten die Passagiere mit Leitern befreit werden. In einigen anderen Fällen, bei denen das Kabel versagte, wurde ein Seil an der Front des stillstehenden Waggons angebracht und das andere Ende wurde von der Straße aus mit einem Fuhrwerk von 4 Pferden weitergezogen.

Einige Zeitgenossen dachten recht kritisch über das neue Verkehrsmittel. Neben den häufigen und Unfällen wurden das unbefriedigende Antriebsverfahren per Kabel bemängelt, die unberechenbaren Rucks an den Übergangsstellen zwischen zwei Kabeln und vor allem auch die nicht vertrauenserweckende, weil zerbrechliche Struktur der Hochbahn, dass nämlich die schweren Wagen über ein Gleis fuhren, welches auf einem einzigen Stützpfeiler und davon ausgehenden gespreizten Trägern balanciert wurde.

Der Betrieb der West Side Elevated endete ungefähr zwei Monate, nachdem er begonnen hatte. Die New York Times meldete im August, dass die Hochbahn an der 9th Avenue ihre unrühmliche Existenz beendet hat. Für Unterhaltung sorgten leere Wagen, die die Straße hinauf und hinunter fuhren, während der Stolz der Erfinder auf zurückhaltendes Interessse in der breiten Bevölkerung stieß und zu teuer für die Investoren wurde, so dass die Gesellschaft ihre Arbeit auf unbestimmte Zeit eingestellt hat. Es bleibt nur die leere Bahn, die vor sich hin rostet und von Tag zu Tag mehr verfällt, ein melancholisches Monument für unklugen Ehrgeiz. Mit dem Scheitern dieser Idee geht aber auch zunächst die Hoffnung verloren, Uptown zukünftig ohne die Langeweile der Pferdekutschen und Omnibusse erreichen zu können.

Untersuchungen ergaben, dass das System ineffizient mit der Energie umging. Ein Großteil der Kraft aus den Dampfmaschinen wurde dazu aufgewendet, um die Kabel zu bewegen, demgegenüber stand nur ein kleiner Anteil, der zur Fortbewegung der Waggons und Passagiere notwendig war. Hinzu kamen zu viele Einzelsysteme aus Kabeln und Maschinen und zu häufige Stops während der Intervalle, in denen kein Wagen vorbeikam.

Die West Side Elevated (Patented) Railway Company transportierte 53,912 Passagiere im Jahr 1870. Umgerechnet auf ungefähr 75 Tage Wirkbetrieb sind das nur 720 Passagiere pro Tag.

Am 14. November fand eine Neueröffnung statt, wieder wurden die Waggons per Kabel angetrieben. Die drei Waggons, die weiterhin separat fuhren, bildeten nach offizieller Verlautbarung der Gesellschaft einen Zug, der insgesamt 120 Passagiere transportieren konnte. Haltepunkte waren jetzt an der Franklin Street, der Houston Street und der Bethune Street eingerichtet, auch wenn dort noch keine Bahnsteige angeboten werden konnten.

Weiterhin stieß die Elevated Railway auf wenig Gegenliebe und machte auch erneut Schlagzeilen wegen häufige Ausfälle und Unterbrechungen. Ende 1870 schien das Ende der Hochbahn gekommen zu sein.

1871 wurde der Antrieb mit Kabel endlich aufgegeben, ersatzweise begannen die neuen Besitzer der Gesellschaft Versuche mit kleinen mobilen Dampfmaschinen und Lokomotiven. Nach weiteren Rückschlägen und Neuanfängen gelang es dann doch noch, die Hochbahn doch noch als ein geeignetes Verkehrsmittel in und für New York City zu etablieren. Die Linie nannte sich schließlich IRT Ninth Avenue Line oder auch Ninth Avenue Elevated. Sie war bis 1958 in Betrieb.


William Fullerton Reeves, langjähriger Chefingenieur bei den Hochbahn-Betreibergesellschaften, schrieb folgendes über den Pionier Charles T. Harvey: Die Menschen der Gegenwart sollten
ihm angesichts seiner weitreichenden Vision, seiner Ingenieurskunst und seiner unermüdlichen Bemühungen für die erste Hochbahn der Welt danken, die das einzige Fortbewegungsmittel in New York City für die Dauer der nächsten 37 Jahre sein sollte.

Links:
http://en.wikipedia.org/wiki/IRT_Ninth_Avenue_Line
http://www.nycsubway.org/lines/9thave-el.html
http://www.columbia.edu/~brennan/beach/chapter2.html
http://www.columbia.edu/~brennan/beach/chapter7.html

(siehe auch Kapitel 30 - Early eals in the 1870s).

Marie Lemkes Besuch in New York 1902

Kapitel 110
Ich habe ja schon ein paar Mal erwähnt, dass ich mich gerne im Internet treiben lasse und mal schaue, wohin ich dann gelange. Gestern habe ich eine Bildersuche bei Google mit den Suchbegriffen "New York 1872" durchgeführt und bin dabei auf ein altes Foto vom Hotel Waldorf Astoria aus dem Jahr 1903 gestoßen, das ich interessant fand. Allerdings ging es auf der dazugehörigen Seite um ein völlig anderes Thema, das aber dennoch zum Blog passt und die Themenvielfalt bereichert.

Wer dem ersten Link am Ende des Kapitels folgt, betritt eine längst vergangene Ära, die gut 100 Jahre in der Vergangenheit liegt. Im Mittelpunkt der dort eingestellten Geschichte steht die 1880 in Königsberg geborene Marie Auguste Adelgitha Lemke, später Dr. phil. Marie Bock. Familiengeschichtlich interessierte Nachfahren haben eine Menge an Material über ihre Vorfahren gesammelt und ins Netz gestellt, darunter auch die unveröffentlichten Lebenserinnerungen von Marie Bock. Dabei entstand eine sorgfältig zusammengestellte Internetseite, die auch für Nichtverwandte sehr interessant ist und einen Besuch lohnt.

Marie wuchs zusammen mit sechs Geschwistern für die damaligen Verhältnisse sicherlich verhältnismäßig wohlbehütet in Ostpreußen auf. Das kann man unter anderem an den zahlreichen Reisen erkennen, von denen sie schon aus ihrer Kindheit zu berichten weiss. Allerdings macht es Spass, sich von ihr auf der Reise in die Vergangenheit mitnehmen zu lassen, denn sie hat eine Menge zu erzählen.

(Marie im Kreis ihrer Geschwister, sie selbst vorne in der Mitte)
Dank zahlreicher Bekannter und Verwandter an allen möglichen Orten ist Marie auf jeden Fall eine Menge im Deutschen Reich zur Kaiserzeit herumgekommen. Dieses finde ich schon beachtlich, zumal Ostpreußen und Königsberg ja nicht unbedingt im Zentrum den damaligen Deutschen Reiches lag. Eigentlich waren nur noch die Deutschen Kolonien weiter vom Mittelpunkt des Landes entfernt. Reisen führten sie bereits 1901 ins Ausland nach Brüssel und Paris. Weihnachten 1901 wurde dann eine Reise nach Amerika Wirklichkeit, nachdem sie der jüngste Bruder des Vaters, der in New York eine Buchhandlung betrieb, eingeladen hatte.

("Kaiser Wilhelm der Große")

Am 03. Januar 1902 begann die Reise, zunächst von Ostpreußen über Berlin nach Bremen. In Bremerhaven bestieg sie dann den Ozeandampfer "Kaiser Wilhelm der Große", auf dem die Überfahrt nach New York stattfand. Die Schilderung der Überfahrt ist sehr eindrucksvoll, auch der ständige Kampf gegen die Seekrankheit und schlechtes Wetter geben anschaulich wieder, wie es den damaligen Passagieren auf dem Weg nach Übersee ergangen ist.

Diese Aufnahme der Skyline von Manhattan stammt aus dem Jahr 1902 und dürfte in etwa dem Eindruck entsprechen, den Marie bei ihrer Ankunft erlebt hat. Viele der spektakulären Wolkenkratzer waren 1902 noch gar nicht vorhanden, aber trotzdem bot Manhattan schon eine umfangreiche Sammlung an außergewöhnlichen Gebäuden, die die Reisenden bei ihrer Einfahrt in die New Yorker Hafenbucht staunen ließen. 1902 wurde das "Flatiron Building" am Madison Square fertiggestellt und es begann der Bau des "Whitehall Buildings" am Battery Park. Die Ankunft in New York schildert sie so:
"Am 14. Januar 12 ½ Einfahrt in den Hafen von New York. Sonnenschein, blauer Himmel, Frost, liebliche Ufer, Himmelskratzer, gewaltig groß, in den Himmel ragend, glückverheißend die Freiheitsstatue. Wäre ich ihr doch treu geblieben! Hatten schon die Ozeanwellen viele Schlacken und Spinnweben von Herz und Hirn weggespült, jetzt fielen alle Ketten Deutschlands von mir ab, ich fühlte mich frei und glücklich. Vom Hafen her heißen zahllos wehende Taschentücher uns in Amerika willkommen, die Musik spielt, wir sind am Ziel. Warmer Abschied von meinen Reisegefährten. Liebevoll hatten sie mir die Brücke geschlagen vom alten Kontinent zum neuen. Am Hafen begrüßt mich Onkel Ernst. Ein Schauer überläuft mich heute noch, wenn ich an den Augenblick denke, wo ich den Boden Amerikas betrat. Ein neuer Mensch im neuen Land. Es war eine Sternstunde in meinem Leben. Heute weiß ich es."

Tatsächlich hielt sie sich während ihres Besuchs in den Vereinigten Staaten vor allem im Städtchen Orange in New Jersey auf, dort wo Thomas Alva Edison seine Laboratorien betrieb und 10 Jahre zuvor die ersten Versuche unternommen hatte, um bewegte Bilder auf Film zu bannen (siehe auch Kapitel 71).

Am 29. Januar 1902 unternimmt Marie mit ihren Gastgebern einen Ausflug zur Stadt New York. Der Hudson River wird mit einer Fähre vermutlich von Hoboken aus überquert, denn der Holland und der Lincoln Tunnel liegen noch 20-30 Jahre in der Zukunft und auch der Eisenbahntunnel von Manhattan unter dem Hudson River hindurch nach Hoboken wird erst 1908 fertiggestellt.

"25.I 1902: „We must haste if we´ll still catch the train 440." Schnell packen wir unsere Kleider in den dazu bestimmten Koffer “dress suit case” und erreichen den geplanten Zug, der uns in ½ Std nach New York bringt. Die Fahrt bietet nichts Interessantes. Eine lange Zeit nur öde Strecken, dann überschwemmte Wiesen, die „salt meadows“, sie liegen meist brach. Das unschöne Newark, eine Arbeiter-Vorstadt von ungefähr 200 000 Einwohnern, hat neben New York keine Bedeutung. Kleine boys bieten Zeitungen, Journale, Schokolade an, legen auf jede Bank ein Stück „only ten pence“ und nehmen auf dem Rückweg das Nichtverkaufte wieder an sich. Der Zug hält. Wir eilen wieder, um das ferryboat zu erreichen, denn der Hudson River trennt uns noch von New York. Das ferry boat befördert täglich durchschnittlich 1 Million Menschen und nimmt zu gleicher Zeit 10-12 Wagen mit hinüber. Es ist inzwischen ½ 6 geworden. Die Sonne ist eben untergegangen. Der noch rot glühende Himmel gießt ein rosiges Licht über die eisfreien Wasserstellen und die durchsichtigen Eisschollen. Ein Dutzend andere ferries, die den Verkehr zwischen den anderen Vorstädten und New York vermitteln, durchkreuzen den breiten Fluß und tragen von innen hell erleuchtet ihr Licht durch die winterliche Dämmerung. Jenseits des Wassers grüßt mich die Weltstadt, die von allen Seiten eingeengt sich zum Himmel recken muß. Ganz New York scheint illuminiert. Aus tausenden von Fenstern strömt ein solch funkelndes Licht wie aus den Brillantenläden unter den Boulevards in Brüssel bei Abendbeleuchtung, und diese Lichtmasse spiegelt sich in Eis und Wasser wieder. Der Mond hängt in greifbarer Nähe ganz rosig, ein Lampion, am stahlblauen Himmel, die Venus bestrahlt milde das Bild und das Geräusch der Fähre beim Durchbrechen der Eisschollen einem fernen Donner gleich ertötet und dämpft allen kleinen Lärm der Menschen."

Nach einem fast fünfmonatigen Aufenthalt endet der Besuch in Amerika Ende Mai 1902:

"Am 31. Mai schifften wir uns ein. Viele Freunde waren mit Blumen und Geschenken am Kai. Die Musik spielte. Lange ließ ich „the star-spangled Banner“ wehen. Immer kleiner wurden die geliebten Menschen, immer kleiner die riesigen Wolkenkratzer, immer kleiner, immer winziger die gewaltige Freiheitsstatue, bis sie gänzlich meinen Augen entschwand. New York hatte ich verlassen, aber Paris und London leuchteten schon an meinem geistigen Horizont. Die Tore der Welt standen mir offen."

Damit endet die Amerikareise von Marie Lemke, nicht aber ihre Lebensgeschichte. Nach ihrer Rückkehr ins Deutsche Reich begann sie unüblicherweise Gymnasial-Kurse zu besuchen, Latein, Mathematik, Griechisch und andere Sprachen zu erlernen und machte ihr Abitur. Im Anschluss studierte sie Philosophie und alte Sprachen - ein ungewöhnlicher Lebensweg für eine junge Frau zur damaligen Zeit.

1905 heiratete sie Wilhelm Bock und folgte ihm nach Tilsit, wo er Oberlehrer am Gymnasium wurde. In den Folgejahren brachte Marie 5 Kinder zur Welt, schloss ihr Studium ab und promovierte erfolgreich. Nach dem 1. Weltkrieg engagierte sich das Ehepaar während der Weimarer Republik in der "Deutschen Volkspartei". Marie kandidierte sogar für den Reichstag zur Reichstagswahl am 14.9.1930, für die "Deutsche Volkspartei" Liste 5.

Marie Bock starb 10 Tage nach ihrem Mann, am 18. August 1954 in Einbeck.

(Marie und Wilhelm Bock)

Links:

http://www.schaper.org/ahnen/lemcke/bock/erinnerungen.htm

http://www.schaper.org/ahnen/lemcke/bock/index.htm

http://www.aratoga.de/100/index.html

http://www.maggieblanck.com/Hoboken/TrainStation.html

http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:New_York_City_Panorama_c1902_LOC_6a36538u.jpg

Washington Building

Kapitel 109

Bei diesem Gebäude habe ich über längere Zeit hinweg gedacht, es handelt sich ebenfalls um ein Gebäude der Kategorie "verschwunden weil abgerissen". Deshalb habe ich lange Zeit den falschen Suchansatz gehabt, als es darum ging, mehr über das Gebäude zu erfahren. Und deshalb hat es unter anderem auch so lange gedauert, bis ich den Namen des Gebäudes und seine Geschichte erfahren habe.

Bereits zum Ende des Kapitels über das Whitehall Building (Kap 78, Juli 2007) hatte ich folgendes geschrieben:
"Meine Aufmerksamkeit wurde durch das interessante dunkle Gebäude mit der Kuppel auf dem Dach geweckt, welches man auf dem nachfolgenden Foto rechts sehen kann. Dieses steht nämlich nicht mehr an diesem Platz, sondern musste einem anderen Gebäude weichen, wie man auch beim Vergleich mit meinem Touristenfoto oben vom letzten Herbst sehen kann. Damit haben wir hier ein Gebäude mehr, welches nur noch als Erinnerung an ein nicht mehr vorhandenes New York der Vergangenheit existiert."

Tatsächlich sind das schöne alte dunkle Gebäude mit der Kuppel auf dem Dach und das modernere Gebäude ohne Kuppel und mit heller Außenfassade identisch, man hat dem alten Kasten lediglich zwischendurch einen neuen Look verpasst.

Dieses 258 Fuß hohe Gebäude, welches den Battery Park an gut sichtbarer Position überragt, wurde manchmal auch "The Field Office" genannt. Man findet es an einem Endpunkt des Broadways an der Ecke Battery Place / Broadway / Bowling Green, Adresse 1 Broadway. Es wurde 1885 von Edward H. Kendall fertiggestellt, war im Queen Anne-Style dekoriert und zunächst von außen mit schwerem dunkelrotem Mauerwerk verkleidet.
Diese damals moderne Stereophotographie zeigt ein Blick vom Dach des Washington Buildings aufgenommen im Jahr 1902.

Diese Sammlung von Bildern aus dem Jahr 1911 zeigt neben dem Washington Building auch eine Reihe kleinerer Gebäude, die links vom Gebäude zwischen Washington Street und Greenwich Street lagen und heute nicht mehr erhalten sind.

Nach gut 35 Jahren erfolgte dann 1920/21 eine Neugestaltung der Außenfassade mit klassischem römisch-weißem Kalkstein und Mosaikdetails, um dem Gebäude ein moderneres Beaux-Arts-Aussehen zu verschaffen.


Dieses Bild entstand im Sommer 1922, als die Umgestaltung des Gebäudes noch sehr neu war.

Dieses Foto, dass ich bei meinem letzten Aufenthalt 2006 in Manhattan aufgenommen habe, zeigt, dass die Optik, die das Gebäude 1921 erhalten hat, auch heute noch aktuell ist.

Welche Version des Gebäudes als schöner empfunden wird, bleibt Geschmackssache. Ich persönlich ziehe die erste ältere Version vor, sie wirkt gemütlicher und imposanter auf mich, die zweite Version ist mir im Vergleich zu kalt und zweckmäßig.

Zum Abschluss eine aktuelle Straßenansicht von Google-Maps:



Größere Kartenansicht

Links:

http://www.nyc-architecture.com/GON/GON.htm
http://www.geocities.com/TimesSquare/Maze/9975/scurkem.html
http://digitalgallery.nypl.org/nypldigital/dgkeysearchresult.cfm?num=12&word=battery%20place%20manhattan&s=1&notword=&d=&c=&f=&lWord=&lField=&sScope=&sLevel=&sLabel=&imgs=12&pNum=
http://digitalgallery.nypl.org/nypldigital/dgkeysearchresult.cfm?keyword=bowling+green+offices+building+&submit.x=11&submit.y=8





Montag, Juli 21, 2008

Gillender Building

Kapitel 108

Und ein weiteres Mal widme ich ein Kapitel dem verschwundenen New York. Wobei hier besonders bemerkenswert ist, dass das Gillender Building nicht lange das Antlitz von Manhattan mitgeprägt hat, denn ihm war nur eine kurze Stehzeit von gerade einmal 13 Jahren gegönnt.

Es wurde in den Jahren 1896-97 an der Nordwestecke Wall Street - Nassau Street - Broad Street im Süden Manhattans errichtet und bereits 1910 wieder abgerissen, um Platz für den Bau des Bankers Trust Co. Buildings zu schaffen, das heute noch an dieser Stelle steht. Auf diese Weise ist das Gebäude unfreiwillig auch Symbol für den rasanten Wandel und die Schnelllebigkeit in der Stadt geworden.

Die Geschichte des Büroturms im Zentrum des Welthandels ist auch die Geschichte des Kreislaufes von Errichten und Abreißen. Sie handelt von dem Schnittpunkt der Kräfte von Architektur, Ingenieurswesen und Handel, die die Stadt New York geformt haben.



Der Wert des Grundstückes an der Ecke Wall Street und Nassau Street, das schon lange kommerziell genutzt wurde, hatte sich im Laufe der Jahre mehr als verzehnfacht, als die Besitzer entschieden, das bisher dort vorhandene 6-stöckige Union Building, durch einen 300 Fuß hohen Turm zu ersetzen. Das schlanke Gillender Building war 22 Stockwerke hoch auf eine Fläche von nur 26 mal 73 Fuß.
Zwölf Jahre später wurden das Gebäude und einige weitere an die Manhattan Trust Company für den Rekordpreis von über 800 Dollar pro Quadratfuß verkauft. Im selben Jahr verhandelte die Bankers Trust Company, welche den Manhattan Trust Company in sich aufgenommen hatte, wegen der Übernahme des anschließenden L-förmigen Grundstücks, auf dem das 7-stöckige Stevens Building stand











Sie entschieden, das Gillender Building zusammen mit dem Stevens Building abzureißen und durch ein erheblich größeres Gebäude auf der zusammengelegten Grundstücksfläche von 93 mal 96 Fuß zu errichten. Das Gillender Building war 1910 das höchste Gebäude, welches jemals abgerissen wurde.


Das an dieser Stelle neu errichtete Bankers Trust Building war mit 41 Stockwerken bei seiner Eröffnung 1912 das höchste Bankgebäude der Welt. Später erweiterte die Bankers Trust Company das Gebäude nochmals, nachdem drei weitere Gebäude in der Umgebung in ihr Vermögen übergegangen waren. Die Außengestaltung des Bankers Trust Building ist bis heute unverändert geblieben und wird dieses wohl auch zukünftig bleiben, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Zum Abschluss noch eine aktuelle Straßenansicht die Wallstreet hoch von der Williams Street aus mit Blick auf die Ecke Wall Street / Nassau Street, wo das Bankers Trust Building steht und das Gillender Building stand.


Größere Kartenansicht

Links:
http://www.nyc-architecture.com/GON/GON013.htm
http://forum.skyscraperpage.com/showthread.php?t=116846&page=4